Bischof Martin
Die Entwicklung einer Seele im Jenseits
- Kapitel 66 -
Die Herz- und Hauserweiterung. Des Herrn Ruf an Martin
Fragt der Minorit: ,,Wo, Bruder, wo ist dein ausgesprochenes besseres Licht? Wohin wirst du uns führen, daß wir es erschauen?"
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Spricht Bischof Martin: ,,Folgt mir hierher in die Mitte dieses Saales! Seht, dort befindet sich ein wahrhaft göttlich kunstvoller tellurischer und astronomischer Mechanismus! Da wollen wir zuerst die Erde, die wir bewohnt haben, näher betrachten und von ihr uns dann zu den andern Planeten und endlich zur Sonne selbst begeben. Allda werdet ihr so manches erschauen, was euch allen bisher ein Rätsel war. Also nur vorwärts!"
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Alles bewegt sich nun auf die bezeichnete Stelle und umgibt diese in dichten Reihen. Auch die Herz-Jesu-Damen schleichen ganz langsam nach, um zu sehen und zu hören, was alles da verhandelt wird und wie etwa das vom Bischof Martin bezeichnete bessere Licht aussehen wird.
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Bischof Martin bemerkt das und spricht ziemlich laut: ,,Was schleicht ihr weisen Damen uns denn nach, wie auf der Welt eine geheime Polizei? Da ist nichts mit der geheimen Polizeischaft! Wollt ihr euch dem bessern Lichte mit uns, euren Brüdern und Schwestern, zuwenden, so gehet offen und freudig wie wir! Geheime, spitzelhafte Schleicherei wird hier nicht geduldet! Verstanden?"
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Als die Herz-Jesu-Damen solches vernehmen, machen sie halt und sagen: ,,Freund, sei nicht zu ärgerlich über uns! Denn so du weißt, daß wir dumm und schwach sind und sicher verleitet - wie es sicher du selbst warst und hast auch nicht gleich beim Eintritte in diese Welt alles für bare Münze angenommen, was dir gesagt wurde -, da habe doch einige Geduld mit uns Armen, wir bitten dich darum! Wir haben von dir bis jetzt noch keinen löblichern Namen als ,Greteln` erhalten und haben uns darüber nicht beschwert. Daß wir unsern Orden in Schutz nehmen, wird doch etwas gar so Schlechtes nicht sein! Du, lieber Freund, aber bist uns sehr hart gekommen, doch wir ertrugen es, wenn wir schon ein wenig murrten. Wir bitten dich aber nun, vergib uns, und sei nicht mehr gar so hart gegen uns arme Sünderinnen!"
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Spricht Bischof Martin: ,,Ah, diese Sprache von euch gefällt mir schon besser als die französische. Wenn ihr mir so kommt, da kommet nur mutig und freudig zu mir her und überzeugt euch von allem, was hier ist, geschieht und fürder geschehen wird!"
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Die Herz-Jesu-Damen kommen nun schneller herbei und fangen sich nicht wenig zu verwundern an, als sie dieses großen und kunstvollsten Mechanismus ansichtig werden. Die Jesuiten umstehen sogleich den Erdglobus und schlagen die Hände vor lauter Verwunderung über dem Kopfe zusammen, daß dieser Globus der wirklichen Erde so getreu nachgeformt ist und auf demselben auch nicht die geringste Kleinigkeit mangelt. Die Minoriten gucken mit gleichem Erstaunen diesen Globus an, ebenso auch die Liguorianer. Die Franziskaner bewundern mehr das Planetensystem und den Glanz der Sonne, die hier ebensoviel Licht verbreitet, als zur Erleuchtung des ganzen Planetenmechanismus vonnöten ist. Diese Sonne gefällt auch den Barmherzigen Schwestern und den Schulschwestern am besten. Kurz, alles bewundert diese Einrichtung, und Bischof Martin macht, so gut er's kann, einen eifrigen Erklärer dieser himmlischen Merkwürdigkeit, wobei ihm manchmal freilich ein sarkastischer Witz über die Erscheinungen auf der Erde nicht auf der Zunge steckenbleibt.
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Nachdem diese ganze große Gesellschaft sich eine geraume Zeit bei diesem Erd- und Planetenmechanismus aufhält und sich von Bischof Martin unterweisen läßt, wird es auf einmal bedeutend heller im Saale. Er kommt nun sogar dem Bischof viel größer vor als früher im sehr gemäßigten Lichte. Die Gesellschaft bemerkt das auch und fragt den Bischof, woher nun mehr Licht und wodurch diese so bedeutende Erweiterung des Saales komme.
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Bischof Martin spricht: ,,Meine lieben Freunde und Brüder und Schwestern! Das muß euch hier nicht zu sehr befremden. Denn da verändert sich nur zu leicht alles, was einmal in einer gewissen Art und Gestalt zum Vorscheine kommt. Habt ihr, als ihr hierher kamet, nicht bemerkt, wie klein dies Haus von außen aussah, und wie groß es dann von innen war? Seht, das ist doch schon sicher ein Wunder! So ist auch diese Erscheinung nichts als ein Wunder, das wir zwar alle nicht verstehen, das zu bewerkstelligen aber dem Herrn dennoch etwas überaus Leichtes ist.
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Ich meine aber, da ihr alle nun schon etwas bessere Erkenntnis angenommen habt, läßt der Herr auch mehr Licht zu uns kommen. Und da sich unsere Begriffe über Ihn nun etwas erweitert haben, so hat auch Er uns diese sichere Wohnung entsprechend erweitert, auf daß wir alle in ihr einen desto hinreichenderen Platz haben sollen. Oh, über derlei Erscheinungen muß man sich hier im eigentlichen Wunderreiche gar nicht zu sehr wundern: hier werden nicht zuerst die Kirschen, dann die Pflaumen und bald darauf Zwetschgen zeitig, sondern hier geschieht alles nur nach der Reife unserer Herzen durch die Allmacht, Liebe und Weisheit des Herrn!
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Aber nun erschaue ich dort auf der runden Tafel auch auf einmal eine ganz neue, stark glänzende Schrift! Muß doch sehen, was da oben steht!" Bischof Martin bewegt sich behende zur Tafel und liest: ,,Martin, komme heraus, denn Ich habe Nötiges mit dir abzumachen! Die ganze Gesellschaft aber soll sich unterdessen ruhig verhalten. Komm, es sei!" Bischof Martin macht ganz selig der Gesellschaft kund, daß sie sich nun ruhig verhalte, was sie auch genau befolgt. Er aber will dann sogleich dem Rufe auf der Tafel nachkommen.