Bischof Martin
Die Entwicklung einer Seele im Jenseits
- Kapitel 99 -
Martin in Verlegenheit durch Chanchahs wißbegierige Fragen
Spricht Chanchah: ,,O ja, ich verstehe alles, was du sagst! Aber weil du soeben von des großen Lama leisestem Winke geredet hast, den du ohne ein Wunder alsogleich verstehst: sage mir dann, wie der große Lama dir und deinen Brüdern winkt, daß ihr Seinen sogar allerleisesten Wink sogleich wahrnehmt und dann sicher sogleich befolgt! Ihr müßt also den großen Lama ja sehen, sonst könnte Er euch doch unmöglich winken - oder doch wenigstens hören und so Seine Winke vernehmen?! Sehet oder höret ihr Ihn, da sage mir, wie ihr Ihn sehet oder höret, daß ich mir von Ihm doch irgendeine Vorstellung machen kann!"
2
Spricht Martin, etwas verlegen: ,,O meine allerliebste, holdeste Chanchah, das ist eine sehr kitzlige Frage! Wenn ich sie dir auch beantworte, so wirst du sie doch sicher nicht verstehen. Daher wäre es fast besser, so du mir die Antwort auf diese Frage erlassen möchtest, da sie für diesen Augenblick weder mir noch dir nützen kann!"
3
Spricht Chanchah: ,,O Freund, das Handeln um den Preis eines Gutes kann wohl bei euch zu Hause sein; uns Chinesen aber ist so etwas fremd. Jede Ware, die wir feilbieten, hat ihren bestimmten festgesetzten Preis. Wer sie feilbietet, der muß sie auch verkaufen und davon dem Kaiser den Verkaufszins geben. Verkauft der Feilbieter die Ware nicht, ist das ein Beweis, daß er sie zu hoch geschätzt hat und Wucher treiben wollte, wofür er dann auch der bestimmten Züchtigung nicht entgeht.
4
Ebenso muß auch jedermann beim Reden sich sehr zusammennehmen und ja nichts sagen zur Hälfte und die andere Hälfte schuldig bleiben, entweder aus Furcht oder Unkenntnis. Denn für beides wird er gezüchtigt, da es eines Menschen unwürdig ist, entweder sich zu fürchten, wo keine Furcht vonnöten ist, oder gar aus sich mehr machen zu wollen, als man is t.
5
Siehe, ich bin eine strenge Chinesin und erlasse dir nichts, was du mir durch deiner Rede Gang gewisserart verheißen hast! Denn wer bei uns durch seiner Rede Gang jemandem zu einer Frage Anlaß gibt, der muß die Frage auch beantworten. Sonst ist er mit seiner ganzen Rede entweder ein Prahler - soviel wie ein Lügner -, oder er ist ein unfähiger Feigling und kennt das selbst nicht durchaus, von dem er geredet hat. Willst du von mir nicht für eins oder das andere gehalten sein, da gib mir eine volle Antwort auf meine Frage, und das ohne allen Vorenthalt!"
6
Bischof Martin ist nun sehr verlegen und weiß nicht, was er tun soll. Denn gibt er ihr die rechte Antwort, da muß er Mich verraten vor der rechten Weile. Antwortet er aber nicht, erklärt sie ihn vor allen Gästen für einen Lügner oder einen Dummkopf und Feigling, was ihm auch nicht angenehm wäre, da er sich so ganz heimlich als Hausherr etwas zugute dünkt. Er geht daher zu Mir und fragt Mich, was er nun in dieser Lage tun solle.