Die Drei Tage im Tempel
Gespräche des zwölfjährigen Jesus
- Kapitel 29 -
Die hänselnde Frage des Oberpriesters. Des Jesusknaben abweisende Antwort. Barnabes Bitte um Erklärung von Jesaia 54,4-9, und ihre Erfüllung durch den Herrn
Sagte nun einmal wieder der Oberpriester darauf: ,,Sage mir denn nun, du Halbgott und Halbmensch von einem Knaben aus Galiläa, wohin wirst du ziehen, daß wir dich hinfür lange nicht mehr zu sehen bekommen sollen? - Ich aber meine, indem du ein Nazaräer bist, und zwar ein Sohn des mir wohlbekannten Zimmermanns Joseph und dessen Weibes Maria, und ich oder jemand von uns jährlich sicher ein, zwei, auch drei Male jene galiläischen Orte besuchen werden, so sollte es etwa ja nicht so besonders schwer werden, dich dort als sicher eine sehr bekannte Persönlichkeit zu Gesichte zu bekommen und sich mit dir weiter über eine Reorganisation des Tempels zu besprechen?! - Was meinst du, junger Prophet aus Galiläa, in dieser Hinsicht?"
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Sagte Ich: ,,So dein Herz bei deinen Mich nur hänseln wollenden Worten auch dabeigewesen wäre, so hätte Ich dir allerdings noch eine Antwort gegeben; aber so bist du keiner andern wert als der allein, die du nun erhalten hast!
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Du kannst ein- oder tausendmal nach Nazareth kommen, so wirst du Mich doch nie wieder zu sehen und noch weniger zu reden bekommen. Denn wann du kommen wirst, werde Ich schon lange voraus wissen, wo aber dann Ich hinziehen werde unterdessen, das wirst du nicht wissen und keiner deiner Templer!
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Ich sage es dir, daß es ein sehr schweres ist, den zu suchen und zu finden, der allwissend ist! Ja, wenn die Zeit der Zulassung kommen wird von dem Geiste, der in Mir ist, dann werdet ihr Mich wiederfinden! - Oder: ihr alle befolget Meinen Rat, dann werde Ich auf Mich nicht lange warten lassen und selbst kommen zu euch; aber sonst nur dann, wie Ich schon bemerkt habe!"
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Auf diese Meine Äußerung sagte der Oberpriester nichts mehr, denn es ärgerte ihn heimlich sehr, daß Ich ihm als Stellvertreter des Hohenpriesters keine Achtung zollte. Aber die andern sahen das gerade nicht ungerne, weil er für sie ein starker Haustyrann war.
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Hierauf trat wieder einmal Barnabe zu Mir und sagte: ,,Sage mir, du weisester Knabe! Wie verstehst du denn folgende Texte des 54. Kapitels des Propheten Jesaias? Sie besagen den Trost auf Zion und lauten:
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,Fürchte dich nicht, denn du sollst nicht zuschanden werden; werde nicht blöde, denn du sollst nicht zum Spotte werden, sondern du wirst der Schande deiner Jungfrauschaft vergessen und der Schmach deiner Witwenschaft nicht mehr gedenken!
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Denn der, der dich gemacht hat, ist dein Mann, Herr Zebaoth ist sein Name; und dein Erlöser, der Heilige in Israel, der aller Welt Gott genannt wird.
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Denn der Herr hat dich lassen im Geschrei sein, daß du seist wie ein verlassenes und von Herzen betrübtes Weib und wie ein junges Weib, das verstoßen ist, spricht dein Gott.
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Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen; aber mit großer Barmherzigkeit will Ich dich sammeln.
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Ich habe Mein Angesicht im Augenblicke des Zornes ein wenig vor dir verborgen; aber mit ewiger Gnade will Ich Mich deiner erbarmen, spricht der Herr dein Erlöser.
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Denn solches soll mir sein wie das Wasser Noahs, da Ich schwur, daß die Wasser Noahs nicht mehr sollten über den Erdboden gehen. Also habe Ich denn auch geschworen, daß Ich nicht über dich zürnen, noch dich schelten will.`
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Siehe, diese sehr gewichtigen Verse Jesaias scheinen mir trotz deiner Drohungen für Jerusalem und für den Tempel wieder sehr günstig und trostvoll zu lauten! Kannst du diese Texte auch auf dich beziehen, dann wollen wir dir ganz glauben, daß du vollernstlich der verheißene Messias bist, und der ganze Tempel wird niedergerissen und auf dem reinen Berge Libanon ein neuer erbaut werden für alle Zeiten der Zeiten!"
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Sagte Ich: ,,Was bis jetzt von Mir geschrieben stand, das war auch möglich, es euch begreiflich zu machen; was aber Mich betrifft und Mein Wirken von nun an weiter hinaus, das wird euch schwerst und schon eigentlich gar nicht begreiflich zu machen sein!
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Denn diejenige ,Jungfrau`, die sich nicht fürchten soll, zuschanden zu werden, und nicht blöde sein soll, um nicht zum Spotte zu werden, sondern die der Schande der Jungfrauschaft nicht mehr gedenken soll und vergessen der Schmach der Witwenschaft, ist ja nicht etwa Jerusalem und sein Tempel, denn wahrlich, da paßten die bildlich entsprechenden Bezeichnungen ,Jungfrau` sowenig wie die ,Witwe` schon ewig nimmer!
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Die ,Jungfrau`, von der da die Rede ist, die wird von Mir erst gemacht werden: es wird dies sein Meine neue Lehre an die Menschen aus den Himmeln, und sie wird darum eine ,Jungfrau` genannt, weil zuvor noch nicht eine selbstsüchtige und hurerisch freche Priesterschaft sie mißbraucht hatte zu ihren schnöden weltlichen Zwecken.
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Diese Meine künftige Lehre wird aber auch auf eine kurze Zeit Witwe genannt, weil Ich ihr da genommen werde durch euren Zorn und durch eure Rache, aber nur durch Zulassung dessen, der in Mir ist und nirgends außer Mir. Dieser Jungfrau und Witwe Mann aber werde eben auch Ich sein, weil sie von Mir gemacht wird! Wer aber eben der Mann ist, der die Jungfrau und die Witwe gemacht hat, das leset nur im Propheten, wie auch die ihr gemachten Verheißungen; denn Ich bin der Mann, und die Verheißungen gehen nur die geheimnisvolle Jungfrau an.
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Es werden viel später auch Zeiten, wie sie Daniel beschrieben hat, kommen, in denen auch mit dieser reinsten Lehre großer Mißbrauch getrieben wird, aber mit der Jungfrau selbst nimmer, sondern mit den Kindern und Kindestöchtern der reinen Jungfrau und kurzsichtigen Witwe. Natürlich, diese werden keine Teilhaber Meiner Verheißungen werden, allein wohl aber die gewisse ,Jungfrau`, entsprossen aus Meinem Munde, und ihre vielen reinen Kinder!
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Siehe, also wird die Sache ausfallen und sich verhalten und ewig nimmer anders werden! Denn mit euch und eurem Tempel werde Ich hinfort ewig in keiner Gemeinschaft mehr stehen. Ich kam wohl zu euch, um euch zu erretten; ihr aber habt Mich nicht erkannt und aufgenommen. Fernerhin werdet ihr zu Mir kommen, wenn euch der böse Schuh zu drücken anfangen wird, doch dann werde Ich euch nimmer erkennen und nimmer aufnehmen! - Habt ihr Mich wohl verstanden?"
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Sagte Barnabe: ,,Wahrlich, um dich mit leichtem Gemüte zu ertragen, dazu gehört sehr viel Geduld, denn du wirst stets dichter und eigentlich gröber! Aber sei ihm nun, wie ihm wolle: wir werden diese Sache denn doch noch ein wenig abwarten! Die Sache mit dir kommt mir immer so vor wie mit einem Blitze, der bei seinem Entstehen plötzlich ein mörderisch starkes Licht erzeugt und durch seinen ihn begleitenden Donner die Erde sogar beben macht; aber es ist dann gleich aus mit ihm, und nach ihm wird es finsterer als es früher war!
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Weißt du, - du bist in deiner Art offenbar ein Phänomen, das seinesgleichen sucht, und du hast uns bei all deinem Trotze dennoch recht viel Vergnügen gemacht! Deine Talente, Junge, wären zu brauchen, aber du solltest da in eine ganz andere und freiere Erziehung kommen und mit deinen wahrlich großartigen und nie dagewesenen Eigenschaften ein bißchen mehr Humanität vereinen, so wärest du für späterhin ein Mensch in der Welt, wie es noch kaum je einen zweiten gegeben hat! Aber mit deiner stets gleichen Schroffheit wirst du unter den Menschen auf der Welt dir sehr wenig Freunde machen! Wenn du in deiner sonderbaren Naturmacht noch zunimmst und du zwar keinen Feind zu fürchten hast, so wirst du wohl von jedermann gefürchtet, aber nie geliebt und geachtet werden. Mir aber ist es lieber, von allen Menschen geliebt als gefürchtet zu werden! - Welcher Meinung bis du selbst oder jemand anderer?"
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Sagte Ich: ,,O ja, du hättest ganz recht, so alle Menschen rein und gut wären! Aber da es ganz verschiedenartige Menschen auf der Erde gibt, von denen einige gut und viele andere schlecht, meineidig und böse sind, da wäre es wahrlich eine sehr schwere Aufgabe für einen Gerechten und Wahrhaftigen, sich also zu stellen, um von allen gleich geliebt zu werden! Man müßte mit dem Bösen böse und mit dem Guten gut sein, und siehe, das ist ebensowenig möglich, als eine Art Licht zu sein, das zugleich die größte Helle und auf demselben Flecke aber auch die allerdickste Finsternis verbreitet!
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Ich sagte es dir: Die wahren Freunde der ewig unwandelbaren Wahrheit aus Gott, die werden Mich schon lieben, und das über alle Maßen; aber Menschen, die die göttlichen Gesetze und Wahrheiten mit Füßen treten und leben, als gäbe es gar keinen Gott mehr, die sollen Mich immerhin fürchten! Denn derlei Menschen und weltsüchtige Gottesleugner sollen Mich dann kennenlernen, daß Ich durchaus keinen Scherz verstehe und jedem vergelte nach seinen Werken; denn Ich allein habe die ewig allervollkommenste Macht dazu."
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Sagte Barnabe lächelnd: ,,Aber Knabe, was sprichst du von ,ewig` und zählst noch kaum zwölf Jahre!? Wohin versteigt sich dein Messiaseifer?! Bleibe schön bei der Natürlichkeit, und wir werden dich recht gern anhören!"
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Sagte Ich: ,,Gehe, du wirst Mir nun schon widrig! Meine Ich denn etwa damit diesen Leib, der freilich erst zwölf Jahre auf dieser Erde besteht?! Habe Ich denn euch allen nicht schon gestern von der Ewigkeit desjenigen Geistes eine hinreichende Erklärung gegeben, der in Mir ist und wirkt?! Was wirfst du Mir da Meinen sich versteigenden Messiaseifer vor?! Verstehe etwas zuvor, dann erst siehe, ob du mit Mir Reden führen magst, und das offenbar über Dinge, die dir noch ferner und unbekannter sind als der entfernteste Pol der Erde!"