Das Grosse Evangelium Johannes: Band 5
Lehren und Taten Jesu während Seiner drei Lehramts-Jahre
Jesus in der Gegend von Cäsarea Philippi
Ev. Matth. Kap. 16 (Fortsetzung)
- Kapitel 48 -
Roklus verteidigt das Essäertum und seine Trugwunder
Sagt Roklus: ,,Ich müßte es mir sicher ohne alle Widerrede gefallen lassen; denn Wahrheit bleibt Wahrheit, ob sie mir schadet oder nützt! Ich weiß aber nun, was du mir damit so ganz eigentlich etwa sagen willst, und das dürfte allenfalls wohl darin bestehen, daß auch unser Orden etwas Schlechtes sei und endlich seinem Untergange so bald anheimfallen wird, als wie bald das reine Gotteslicht aus den Himmeln der Menschen Herzen durchleuchtet haben wird. Freund, das ist zwar eine Wahrheit, gegen die sich nichts einwenden läßt - denn wenn alle Menschen oder wenigstens nur ein großer Teil derselben in alle unsere Geheimnisse von Gott aus eingeweiht werden, so hat unser Handwerk freilich wohl für immer ein Ende erreicht -; aber man wird uns wenigstens nie nachsagen können, daß wir solches alles mit auch nur einem Funken irgendeines selbstsüchtigen, bösen Willens getan haben, da uns in dieser höchst trüben Zeit nichts als nur wenigstens das irdische allseitige Wohl der Menschen am Herzen lag und unser Kloster an und für sich nichts anderes ist als eine Liebe- und Freundschaftsbezeigungsanstalt. Wir wählten dazu auch nicht ein schlechtes Mittel!
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Freilich, wohl könnte man sagen: Jeder Betrug ist schon ein schlechtes Mittel! Aber da erwidere ich auch einem Gotte ganz entschieden und sage: Ja, ein Betrug ist sicher stets ein schlechtes Mittel, wenn ich mit demselben nur im geringsten irgendeine böse Absicht verbinde aus was immer für einem selbstsüchtigen Grunde! Wenn ich aber sehe, daß der Mensch auf keine andere Weise zu heilen ist als nur durch einen offenbaren Betrug, und ich dann auch aus purer Liebe zum leidenden Bruder dieses einzige Mittel ergreife und dem Menschen damit unfehlbar helfe, so ist und bleibt selbst der allerdickste Betrug kein schlechtes, sondern nur ein höchst gutes und gerechtes Mittel, gegen das kein Gott mir etwas einzuwenden imstande sein kann. Ich will dir zur Bekräftigung dessen nur ein Beispiel aus meiner essäischen Lebenserfahrung mitteilen, und du wirst mir recht geben müssen, und wärest du selbst ein zehnfacher Gott.
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Es kam zu mir ein weinender Mann, dem sein liebes, junges und äußerst braves Weib in einer Art krank wurde, von welcher Krankheit sie nur durch ein einziges, mir wohlbekanntes Mittel einzig und allein und mathematisch sicher geheilt werden konnte. Jedes andere Heilmittel hätte offenbar den Tod gebracht und den Gatten zum unglücklichsten Menschen der Welt gemacht. Das Weib aber hatte gegen das bekannte Mittel eine solche Antipathie, daß es lieber zehnmal sterben wollte, als sich dieses Heilmittels für seine sichere Heilung zu bedienen. Da half alles Zureden nichts, und der Mann verfiel dabei aus einer Verzweiflung in die andere. Ich aber, um einen guten Einfall bei solchen Gelegenheiten noch nie verlegen gewesen, sagte sogleich ganz ernst und entschieden vor dem Manne zum Weibe: ,Oh, sei du da ganz ruhig, da weiß ich noch um hundert andere Mittel, die solche Krankheiten noch um vieles eher und sicherer heilen denn das benannte!` Mit dem aber hatte ich schon im Grunde gelogen wie ein Bär; denn ich wußte wahrlich um alle Schätze der Erde für sie kein anderes. Diese wahre Kardinallüge war demnach schon ein erster Betrug zum Besten der Kranken.
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Der zweite und somit noch größere bestand darauf notwendig darin, daß ich dem bekannten Mittel einen andern Namen gab, etwas Gleichgültiges daruntermengte und ihm dadurch die Gestalt, Farbe und in etwas auch den Geschmack veränderte, und es auch auf einen sehr namhaften Betrag stellte. Drei Pfunde Goldes änderten die Sache ganz gewaltig. Das Weib nahm mit vielen Freuden die Arznei ein und ward darauf in etlichen Stunden nicht nur vollkommen gerettet, sondern sogleich frisch, heiter und auch vollkommen gesund! Ich selbst habe mich über diese gute Prellerei kaum des Lachens enthalten können, und es erfuhr darauf bis zur Stunde weder das Weib noch der Mann von solchem meinem für beide heilsamen Betruge auch nur eine Silbe!
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Nun frage ich dich, ob dieser Betrug an und für sich gut oder schlecht war? - Du schweigst und kannst mir da nichts einwenden! Ich werde dir aber noch ein anderes Beispiel auftischen und dich darüber dann um dein Urteil angehen.
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Siehe, vor einem Jahre geschah es, daß einem höchst achtbaren und überaus wohlhabenden Elternpaare seine einzige, dreizehnjährige Tochter an einem bösen Aussatze verstarb. Ich bekam zufällig davon Kunde und eilte jählings in das Haus der großen Trauer. Vater und Mutter waren untröstlich um solchen Verlust. Ich besah mir das vollkommen tot daliegende Mädchen genau und fand, daß es eine große Ähnlichkeit hatte mit einem Mädchen in unserer großen Menschenhege- und -pflegeanstalt, und dachte mir: ,Diesem trauernden Paare kann und soll geholfen werden!`
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Ich berief sogleich den Vater zu mir und sagte zu ihm: ,Traure nicht! Ich bin ein wahrer Essäer und sage dir, daß ich diese Schlafende wieder beleben kann durch mein Arkanum im Kloster! Laß sie hineinbringen mit allem, was sie je besaß, und mache mir eine genaueste Beschreibung ihres ganzen Charakters, ihrer Sympathien und Antipathien, kurz, von allem, was sie je umgeben hat, und ich stehe dir dafür, daß ich diese deine nun tote Tochter dir längstens binnen zwei Monaten in deine Arme zurückbringen werde!`
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Daß bei meinem Ernste sich die beiden Eltern dazu nicht lange besannen, versteht sich von selbst, da sie mich schon im voraus jedes Betruges für rein unfähig hielten. Was sonach je des Mädchens war von der Wiege an bis zu ihrem Tode, mußte mit ins Kloster gebracht werden. Da ich in meiner Dienstzeit sehr oft in dies Haus kam und das Mädchen sehr gut kannte, und da das schon früher erwähnte Hegemädchen der Verstorbenen sehr ähnlich sah und zugleich sehr viel besaß, so war da eine Auswechslung sehr leicht möglich. Nach der abgelaufenen Zeit von ein paar Monden war das Hegemädchen schon ganz die wiedererweckte Tochter der beiden gläubig auf deren Wiederkunft harrenden Eltern.
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Ich selbst nahm die Überbringung der Erweckten ins elterliche Haus vor. Als mich die beiden Eltern schon von weitem ersahen und wohl erkannten, so liefen sie mir mit vor Freude aufgehobenen Händen entgegen, und die Pseudotochter tat auf mein Geheiß und früheren Unterricht, wie sie sich zu benehmen habe, dasselbe. Da hättest du Zeuge von der Glückseligkeit der beiden Eltern sein sollen, und du hättest samt mir mitgeweint vor Freuden!
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Durch diesen sicher höchst feinen, aber dabei dennoch kolossalen Betrug sind drei Menschen vollkommen glücklich geworden; die zwei Trauernden, Vater und Mutter, haben ihre verlorene Tochter ungezweifelt wieder, und das sonst höchst arme Mädchen ist zu einem Paare Wohltäter gekommen, wie sie sein Herz nur je wünschen konnte. Und was habe ich davon gehabt? Ich sage es dir, so wahr, als ich hier stehe: Nichts als das angenehme Bewußtsein, drei Menschen ganz glücklich gemacht zu haben!
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Nun frage ich dich, ob dieser Betrug auch schlecht zu nennen ist! Ja, ich selbst heiße jeden Betrug schlecht, der von einem Menschen aus Selbst- und schnöder Gewinnsucht gegen seine harmlosen Mitmenschen unternommen wird; aber so ich nur dann zu einem recht feinen Betruge meine Zuflucht nehme, wenn ich die vollste Überzeugung habe, daß irgendein sehr unglücklicher Mensch auf gar keine andere Weise zu heilen ist, da ist ein noch so dicker Betrug etwas sehr Gutes und kann von keinem vernünftigen und weisen Gotte als schlecht bezeichnet werden, und man muß dem erfinderischen Menschengeiste noch obendrauf höchst dankbar sein, der in unserem Orden allerlei Mittel ersann, die leidende Menschheit glücklich und gesund zu machen!
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Oder hatte nicht auch euer Gott nach eurer Schrift sich gegen den alten und blinden Vater Isaak eines offenbaren Betrugs bedient, um seinem Volke in Jakob einen besseren Stammvater zu geben, als da war der erstgeborene, rauhe Esau? Ich pflichte dir wohl bei in dem, daß jeder böse Trug, wenn er einmal den Kulminationspunkt erreicht hat, sich selbst zugrunde richten muß, aber ein Betrug zum Guten für die Menschheit sicher durch sich selbst nie, - nur durch irgendeinen mutwillig bösen Verräter, ja! Aber da ist dann doch offenbar der unseren guten Trug verratende Wahrheitsfreund um tausend Male schlechter als der schlechteste Volksbetrüger unseres Ordens! - Widerlege mich, wenn du es vermagst! Ich bin bereit, mit dir jeden Kampf in dieser Hinsicht zu bestehen."