Das Grosse Evangelium Johannes: Band 7
Lehren und Taten Jesu während Seiner drei Lehramts-Jahre
Der Herr auf dem Ölberg (Fortsetzung)
Ev. Joh. Kap. 8
- Kapitel 88 -
Die Rede des Nikodemus an die Templer
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() ,,Nun, wie es dabei unserem Nikodemus ärgerlich zumute wurde, das läßt sich von selbst leicht begreifen.
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Nach einer kleinen Weile tieferen Nachdenkens sagt nun er (): ,Ja, meine Freunde, das ist nun eine Sache, in der es sich schwer reden und noch schwerer raten läßt! Ihr habt es ja letzthin im Tempel selbst erlebt und gesehen, wie der Nazaräer, als ihr ihn ob jener Behauptung, daß er schon vor Abraham war, steinigen wolltet, in der Mitte des Tempels völlig unsichtbar wurde, und ihr dann eure Steine wieder zur Seite legen mußtet! Ich habe die ganze Sache bei mir ganz ruhig und reiflich überlegt und habe gefunden, daß da mit solch einem Menschen, dem aber schon gar nichts mehr unmöglich ist - wovon ich mich selbst überzeugt habe und als Bürgermeister der Stadt auch überzeugen mußte -, mit irgendeiner Gewalt gar nichts auszurichten ist. Und weil ich vieles weiß, was ihr nicht wissen könnet, so werde ich mich wohlweislich hüten, gegen einen solchen Menschen je irgend etwas Feindliches zu unternehmen. Mein Rat hierüber wäre demnach dieser: gegen diesen Menschen gar nichts Feindliches unternehmen, sondern die ganze Sache mit ganz ruhigem Gemüte abwarten, was am Ende da noch alles herauskommen wird.
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Denn ist die Sache wirklich rein göttlicher Art, so stemmen wir uns fruchtlos dagegen; ist sie aber dennoch eine diesirdisch-menschliche, so wird sie auch von selbst wieder zerfallen. Sollte der Mensch aber mit der Zeit irgend für die Römer irgend politisch gefährlich zu werden anfangen, so werden ihn die scharfsichtigen Römer bald haben. Bis jetzt hat er sich in politischer Hinsicht aber noch nirgends gefährlich gezeigt und steht bei den Römern meines guten Wissens in großem Ansehen und ist von ihnen überaus wohl gelitten. Solange aber das der Fall ist, wäre es von uns sehr unklug, wenn wir, ganz sicher allzeit vergeblich, den mächtigen Römern vorgreifen wollten.
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Der Funke, der mich nicht brennt, wird von mir nicht vertilgt. Ihr habt nach eurer ganz guten Mutmaßung gar richtig bemerkt, daß die heutnächtlichen Zeichen eben durch den Nazaräer dürften bewerkstelligt worden sein, und ich sage es euch, daß ich schon gleich in der Nacht der Meinung war. Wenn sich aber das sicher also verhalten dürfte, da frage ich euch denn doch aus den reinsten Vernunftgründen, wozu alle die blinde Verfolgungswut auf diesen Nazaräer am Ende dienen kann. Er wird hingegen mit seiner unbegreiflichen Macht euch noch größere Verlegenheiten bereiten, als das bis jetzt der Fall war, und ihr könnet ihm dagegen nichts anhaben, wie ihr euch davon nun schon durch nahe volle zwei Jahre überzeugt habt. Was habt ihr seinetwegen schon für Geld und Leute geopfert! Und zu welchem Resultate seid ihr dabei gelangt? Ihr stehet heute noch auf dem Flecke, auf dem ihr vor zwei Jahren gestanden seid!
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Nun habt ihr wieder zwanzig der besten Häscher nach ihm ausgesandt. Wo sind sie? Die sind sicher schon irgend geradeso versorgt, wie noch die meisten versorgt worden sind, die auf ihn zu fahnden von euch ausgesandt wurden! Ich bitte euch: Seid doch vernünftig und lasset ab, einen Menschen zu verfolgen, dem ihr, wie die Erfahrung zeigt, nichts anhaben könnet, er hingegen aber uns völlig zerstören und vernichten kann, ohne daß wir uns ihm nur im geringsten zur Wehr stellen können. Ihr könnet ihn weder mit Worten und noch weniger mit Stricken fangen. Wozu dann solch euer Rathalten und euer rastloses Mühen?
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Als ihr dort draußen durch meine Felder gegangen seid, da werdet ihr eine Säule bemerkt haben, an der sicher nie eines Menschen Hand gearbeitet hat. Wer anders als ganz sicher der Nazaräer hat sie von irgendwoher hingeschaffen; denn sie war vorher nicht, - und heute am Morgen stand sie da! Menschliche Kräfte haben sie sicher nicht hingestellt! Wäre das der Fall, so wäre um die Säule herum weit und breit alles zertreten; denn die Aufstellung solch einer ungeheuren Säule hätte Hunderte von Menschenhänden in Anspruch genommen. Wenn aber der Nazaräer ungezweifelt solche Dinge zu leisten vermag - sage, bloß durch seinen Willen -, was wollet ihr dann mit aller eurer Macht und Gewalt gegen ihn ausrichten?!
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Sei es bei ihm nun der Fall, daß er das alles durch eine in ihm wohnende Kraft oder durch eine neue Art Magie zustande bringt, so ist das nun einerlei; denn wir können uns weder so noch so mit ihm in einen Kampf einlassen. Lasset euch darum geraten sein, sich mit ihm in keinen weiteren Kampf einzulassen, sonst können wir noch alle samt Mann und Maus verloren gehen! Ich werde mich sehr hüten, gegen ihn je mehr etwas zu unternehmen. - Das ist nun mein offener Rat, und ich frage die beiden Römer hier, ob ich recht oder unrecht habe.`
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Sagten die beiden Römer: ,Jawohl, der Meinung sind auch wir: Gegen eine gewisse innere, wunderbar mächtige Willenskraft manches einzelnen Menschen richtet keine materielle, irdische Macht etwas aus.
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Als wir einmal in Oberägypten zu tun hatten, da wurden wir in der Gegend bei zwei Tagereisen oberhalb Memphis mit einem Menschen bekannt, der wohl sehr ägyptisch brauner Gesichtsfarbe, aber noch kein eigentlicher Mohr war. Unsere Reisekarawane bestand aus zweihundert Personen pur männlichen Geschlechts, und unsere Absicht war, das eigentliche Land der Schwarzen aufzusuchen.
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Als wir an einer engen und schwer zu passierenden Stelle des Nilstromes ankamen, da trat uns, aus einer Höhle kommend, der vorbeschriebene Mensch in den Weg, und zwar in einem sehr schwach bekleideten Zustande. Seine Gestalt fiel uns allen auf, und sein Blick hatte augenblicklich unsere Füße derart gelähmt, daß wir keinen Schritt mehr weder vor- noch rückwärts zu machen imstande waren. Hierauf sprach er uns auf gut griechisch also an: ,Was suchet ihr in dieser Öde hier?`
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Sagte einer von uns: ,Wir möchten das Land der Schwarzen aufsuchen und sehen, wie jene Menschen wohnen und leben, und welche Sitten und Gebräuche sie haben, und ob mit ihnen kein Handel für irgend seltene Naturprodukte anzubinden wäre.`
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Sagte der Mensch: ,Das Land noch viele Tagereisen weit von hier ist für die Art eurer Bewegung; mir aber ist das wohl freilich in einer viel kürzeren Zeit möglich, (), weil mir euch unbekannte Kräfte der Natur zu Gebote stehen. Ich aber sage es euch eroberungssüchtigen Römern, daß ihr jenes noch ganz glückliche und unschuldige Land nie betreten werdet, solange ich hier Wache halte. Wäret ihr euer auch tausendmal so viele, als ihr nun da stehet, so würdet ihr ohne meinen Willen ebensowenig wie jetzt auch nur einen Schritt weiter zu gehen vermögen! Ich rate euch daher, umzukehren und dahin zurückzukehren, von wo ihr hergekommen seid, sonst lasse ich euch hier festgebannt stehen, und mit eurem Fleische sollen meine Löwen und Adler sich mästen.`
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Nun, diese höchst kategorische Anrede dieses sonderbaren Menschen hatte auf uns einen derartigen Eindruck gemacht, daß wir uns trotz aller unserer Waffen, die wir mitgenommen hatten, um alle Schätze der Welt keinen Schritt mehr weiter zu machen getraut hätten.
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Da der Mensch uns aber nun ein etwas gutmütigeres Gesicht zeigte, so redete ihn einer von uns ganz demutsvoll also an und sagte: ,Höre du rätselhaft mächtiger, lieber Mann uns gütig noch einmal an, und sage uns, wer du bist, und wie du zu solcher Macht des Willens gekommen bist! Dann aber wollen wir uns nach deinem Wunsche und Willen sogleich auf den Rückweg machen.`"