Gottes Neue Bibel

Der Grossglockner

Ein Evangelium der Berge

- Kapitel 9 -

Der geistweckende Einfluß einer Bergbesteigung

Um das, was den evangelischen Teil betrifft, so recht ins Auge zu fassen, wird es notwendig sein, euch mit der Form solcher Berge ein wenig vertraut zu machen.
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Zu diesem Zweck ist es wohl gut und nützlich, entweder selbst, soviel es tunlich ist, solche Berge zu besteigen, oder wenigstens gelungene Abzeichnungen derselben mit aufmerksamen Augen zu betrachten; denn durch ihre verschiedenen Höhen, durch ihre Abstufungen, durch die Gräben und Täler wird - wenn alles dieses mit Aufmerksamkeit betrachtet wird - das Gemüt geweckt, und der Geist sucht da beim Anblick solcher Berge selbst seine Augen zu öffnen und darüber nachzudenken, ob und wie da Wege aufwärts möglich sein dürften.
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Daß solches seine Richtigkeit hat, bezeugt der Drang bei Besteigung eines Berges, sobald als nur immer möglich die höchste Spitze zu erreichen, und auch der Drang und die tüchtige Begierde, wenn einem solch hohe Berge zu Gesichte kommen, alsbald ihre höchsten Gipfel zu ersteigen.
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Fraget euch selbst, worin wohl solcher Grund liegen kann! Meinet ihr, er liege etwa in der Ausbeutung irgendeiner oder mehrerer Fernsichten, oder er liege etwa in dem Begehren nach dem Genusse der reinsten Luft? Wer solches behauptet, der ist mehr denn über die Hälfte irrig daran; denn was die Fernsicht betrifft, so ist diese wohl für das Auge des Fleisches lohnend, aber um solche zu genießen, bedarf es ja eben nicht der höchsten Gebirgsspitzen, sondern oft nur wenig bedeutender Anhöhen, von welchen eine nicht selten bedeutend üppigere Aussicht zu gewinnen ist als von so manchen höchsten Gebirgsspitzen, welche doch gewöhnlich wieder von anderen hohen Bergen umlagert sind, weshalb man denn oft nichts anderes als einige ebenso hohe Gebirgsspitzen im Umkreise erblickt und seine Blicke in keine Ebenen, Täler, Flüsse und Seen senden kann.
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Was aber die reine Luft betrifft, so braucht jemand nur auf einen Hügel zu steigen, der höchstens zwei oder dreihundert Klafter hoch zu sein braucht, und er kann daselbst auch schon eine sehr reine Luft genießen.
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Wenn sonach jemand diese zwei Punkte recht tüchtig beachtet, so wird er gar leicht gewahren, daß sie nicht ausschließlich der Grund sein können, weshalb so viele Menschen von den hohen Gebirgsspitzen also angezogen werden, daß sie nicht selten ihr Leben wagen, um mit der größten Anstrengung die höchste Spitze zu erklimmen.
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Wenn denn solches unleugbar der Fall ist, da es doch die tägliche Erfahrung lehrt, daß fast jeder Mensch, so er nur irgendeinen hohen Berg ansieht, in sich auch schon den Wunsch verspürt, so es nur möglich wäre, sich sogleich auf diesen oder jenen hohen Bergesgipfel zu versetzen - selbst dann noch, wenn er den Berg tagtäglich sieht und auch schon zu öfteren Malen auf demselben war -, so muß ja doch noch ein anderer Grund vorhanden sein, der ihn hinaufzieht.
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Dieser Grund ist der schon besagte und besteht sonach in dem Wachwerden des Geistes bei solchen Gelegenheiten; denn wie euer Sprichwort sagt, daß sich Gleiches und Gleiches gern zusammengesellt, so ist solches auch hier buchstäblich der Fall.
9
,,Wie so?", werdet ihr fragen. - Nun, so höret!
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Der Geist zieht den Geist an wie die Materie die Materie und das Fleisch wieder das Fleisch. So da in einem Menschen beschlossen wird, daß er seine Füße auf irgendeinen hohen Berg setzen will, so geht aus dieser seiner Vornahme eine Willensvermittlung hinauf in die hohen Geistersphären; durch diese Verbindung werden die Geister alsbald inne, was da irgendein Mensch tun will.
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Will er sich nun ihren Sphären wirklich nahen, so wird von den Geistern alsbald eine Rückantwort gegeben. Diese Rückantwort ist für den Geist, der da noch im Leibe schläft, fast dasselbe wie das, was ihr in leiblicher Hinsicht eine elektromagnetische Affektion nennt, oder was im weiteren Sinne das Magnetisieren selbst ist, durch welche Handlungsweise einem schwachen Organismus durch einen starken, lebensvollen auf eine Zeitlang eine neue Lebenskraft mitgeteilt wird; kurz und gut, auch der Geist, der da im Menschen noch schwach ist und schläft, wird von den Geistern also geistig magnetisch geweckt, - freilich nicht für bleibend, sondern nur auf eine kürzere oder längere Zeit.
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Wenn auf diese Weise der Geist erweckt ist, so möchte er auch eiligst sich schon dort befinden, von woher er gezogen wird, das heißt: er möchte sich schon sogleich unter seinesgleichen befinden; daher treibt er denn auch alsbald durch die Seele den Leib mächtig an und zieht und schleppt ihn hinauf zu den schwindelnden Höhen.
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Wenn hernach ein solcher Mensch solche Höhen wirklich erstiegen hat, so freut sich der Geist, daß er sich in seiner wahren Gesellschaft befindet. Da jedoch die freien Geister wohl die reinste Einsicht haben, daß für solch einen unzeitigen Geist noch keines Bleibens ist, so stellen sie sich alsbald wieder außer Rapport mit ihm; sodann sinkt der Geist wieder in seinen Schlaf zurück, dem Leibmenschen wird's dann unbehaglich auf solchen Höhen, so daß er sich darum bald wieder sehnsüchtig hinabbegibt in die Täler, in denen sich seine ihm entsprechenden Wohnungen befinden.
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Sehet, das ist der eigentliche Grund, warum der Mensch, wenn er nicht gar zu naturmäßig weltlich gesinnt ist, von den Bergen und ihren höchsten Gipfeln so angezogen wird!
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Bei ganz naturmäßigen Menschen ist solches wohl freilich nicht der Fall, denn entweder haben diese gar keinen Sinn dafür - welches soviel besagt wie: ihr Geist ist dergestalt schwach und krank, daß er keiner anderwärtigen geistigen Affektion mehr fähig ist - oder wennschon solche naturmäßigen Menschen irgend hohe Berge besteigen, so werden sie dazu nur von den argen Geistern angetrieben, entweder aus Gewinnsucht oder aus purer Prahlerei, um dann sagen zu können: ,,Ich war auf dieser und jener noch von keines Menschen Fuß bestiegenen Spitze eines Berges der erste!", - der gewisserart mit seinem sehr unheiligen Fuße die heilige Spitze des Berges entweiht hat.
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Solche Gebirgsbesteiger werden dann auch fast allezeit für ihre ruhmverdienstliche Handlung von den Friedensgeistern gar übel bedient: Entweder lassen sie einen solchen Rühmler eine Höhe erklettern; wenn er aber dann oben ist, so wird er alsbald von einem übermäßigen Kopfschwindel und darauf folgender großer Todesangst heimgesucht und muß oft stundenlang zappeln, bis sich irgendein Geist seiner erbarmt - so er genug gebetet hat - und ihn dann einen höchst beschwerlichen und mit augenscheinlicher Todesgefahr verbundenen Weg hinabklettern läßt. Oder die Geister lassen ihn auf eine leichter zu ersteigende Höhe kommen; wenn er sich aber schon siegreich oben befindet, dann schicken sie ihm oft augenblicklich ein gräßliches Ungewitter über den Hals, durch welches er für seine rühmliche Bemühung so tüchtig ausgezahlt wird, daß er bei sich selbst einen festen Eid ablegt und sagt: ,,Wenn ich nur dieses Mal noch mit dem Leben davonkomme, wahrlich, es soll mich hinfort keine Gebirgshöhe mehr anlocken, sie zu besteigen, und wäre sie nur einige Klafter hoch!"
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Wer aber da eine solche Gebirgsspitze frevelnd oder zufolge einer habsüchtigen Wette erklimmen möchte, der kann aber auch schon sogleich vorher in der Ebene seine letzte Willensanordnung hinterlassen; denn ein solcher Gebirgsbesteiger wird wohl nimmerdar seine Füße mehr in der Ebene gebrauchen, - aus welchem Grunde auch nicht selten ähnliche Gebirgsbesteiger verunglücken und sich entweder sogleich zerfallen, oder sie werden auf irgendeine Höhe geführt, auf welcher sie dann auch gewöhnlich für alle ewigen Zeiten verbleiben, d.h. dem Leibe nach.
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Ja, die Geister haben da allerlei Mittel, um die Frevler auf das empfindlichste zu strafen!
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Aber nicht also ergeht es demjenigen, der da aus höherem Antrieb die Höhen der Berge besteigt.
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Ein solcher Mensch wird nicht nur auf keine Gefahren stoßen, sondern er wird allzeit gewaltig gesegnet und gestärkt wieder zurückkehren, und zwar so, daß bei manchen solchen Gebirgsbesteigern und großen inneren Freunden der Berge ihr Geist für bleibend geweckt worden ist und sie dadurch zu Sehern und Propheten wurden.
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Aus diesem Grunde habe Ich euch auch noch allzeit geraten, gern auf die Berge zu gehen, weil denn doch bei jeder, wenn auch nur momentanen Geisteserweckung dem Geiste eine Stärke verbleibt also, wie einem schwachen Menschen die naturmäßige Lebenskraft nach jedem einzelnen sogenannten Magnetisieren erhöht wird und er, wenn er oft genug magnetisiert worden ist, endlich mit schwacher Beihilfe anderer Mittel wieder zur vollen Gesundheit und Lebenstätigkeit gelangt.
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Wenn sich demnach der Mensch redlichen Sinnes ebenfalls öfter von den hohen Geistern also geistig magnetisieren läßt und gebraucht dazu das leichte Arzneimittel der Liebe, so wird er auch um so eher zu dem Ziel gelangen, welches da heißt: die Wiedergeburt des Geistes. Daher gehet gern auf Berge von bedeutenderem Höhenmaße, und seid liebetätig, so wird eure noch schwache Liebe zu Mir sicher um so eher ganz lebendig werden! Neben diesem großen, ja größten Vorteil gibt es aber noch viele andere, wovon wir die wichtigsten ein nächstes Mal näher betrachten wollen. - Und so lassen wir es heute wieder bei dem bewendet sein!

Fußnoten