Die Geistige Sonne
Band 1
Mitteilungen über die geistigen Lebensverhältnisse des Jenseits
- Kapitel 21 -
Besuch in der abendlichen Gegend
Sehet, da ist schon ein recht guter Weg, diesen wollen wir ganz gemächlich fortwandeln. So ihr da hinüberblicket über die linke Hand, so erschauet ihr als Begrenzung einer weitgedehnten Ebene ziemlich hohe, aber dabei doch sanft abgerundete Gebirgszüge, welche gar schön bewachsen sind mit Zedern und allerlei anderen herrlichen Bäumen. Die Scheitel sind überall frei und jeglicher ist mit einer Pyramide geziert, über deren Spitze allenthalben ein heller Stern leuchtet. Wenn ihr aber hier gerade voraus schauet, so erblicket ihr ein breites Tal, welches sich ganz gerade fortzieht und überall, so weit eure Augen reichen, recht fruchtbar aussieht. An verschiedenen Stellen dieses Tales erblicket ihr auch niedlich schöne Gebäude und sehet recht emsig Menschen aus- und eingehen und sehet auch, wie gar viele recht emsig tätig sind mit der Kultur der Felder. Nicht wahr, da kommt es euch beinahe vor, als wenn ihr auf der Erde in einem schönen Tale fortwandeln möchtet, in welchem ebenfalls friedliche Landleute ihre Felder recht emsig bebauen und bearbeiten.
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Wenn ihr eure Blicke auf die rechte Seite hinüberwendet, so erschauet ihr ebenfalls eine weit, ja unabsehbar weit gedehnte Gebirgskette, deren Niederungen ebenfalls mit guten Bäumen überwachsen sind, und hier und da zwischen den Wäldern zeigt sich eine ländliche Wohnung. Aber über den Waldungen erhebt sich ein außerordentlich schroffes Steingebirge, dessen oberste Scheitel mit ewigem Schnee und Eise bedeckt sind.
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Ihr saget: die Gegend ist wunderherrlich und schön, nur fehlt hier und da ein See oder irgendein schöner, breiter Strom. Wäre solches auch noch in dieser Gegend vorhanden, so könnte man sich nicht leichtlich eine anmutigere und zugleich auch romantisch schönere Gegend vorstellen, als diese da ist.
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Ich aber sage euch, meine lieben Brüder und Freunde! Habt nur eine kleine Geduld, wir werden bald auch dergleichen in der reichlichsten Menge antreffen, denn wir gehen sehr geschwind und sind in dieser abendlichen Gegend über alle eure Begriffe weit vorgedrungen. Sehet euch nur einmal um und bemesset die linke Seite nach dem sanften, mit Pyramiden gezierten Gebirgszuge, und ihr werdet sogleich gewahr werden, wie weit wir schon vorgedrungen sind.
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Ihr saget: Aber wie ist denn das möglich? Wir können ja kein Ende dieses Gebirgszuges mehr erblicken, und es kommt uns vor, als ziehe sich dasselbe endlos weit hinter uns fort. In weitester Ferne erblicken wir kaum noch die schönen Sterne über den Pyramiden gleich beleuchteten Sonnenstäubchen schimmern. Ja, liebe Brüder und Freunde, hierzulande reist man außerordentlich schnell, ohne daß der Reisende die Schnelligkeit seiner Bewegung merkt. Obgleich wir nun, wie ihr wohl sehet, ganz gemächlich Schritt für Schritt wandeln, ist aber unsere Bewegung dennoch so außerordentlich schnell, daß sich von dieser Schnelligkeit auf der Erde niemand einen Begriff machen kann. Ihr könnt es glauben: Wenn es euch möglich wäre, leiblicher Weise diese Schnelligkeit auszuüben, so würdet ihr dadurch in einem Augenblicke viele Milliarden Sonnenweltgebiete durchzucken. Wie aber solches möglich ist, darüber werden wir schon noch ein Wort wechseln.
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Nun kehren wir unsere Blicke wieder nach vorne und setzen unsere Reise ganz ruhig wieder fort. Ihr fraget mich: Was ist denn dort im tiefen Hintergrunde für eine schimmernde Fläche, über welcher sich im noch tieferen Hintergrunde am etwas abendlich dunklen Firmamente eine Menge recht hell leuchtender Sterne zeigt? - Geduldet euch nur; wir werden schon noch dahin kommen. Seht euch aber etwas nach rechts um und saget mir, wie euch solches behagt? Ich lese Beifall aus euren Augen. Ist das nicht ein See, wie sich's gebührt?
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Sehet die Menge der schönen Inseln, welche sich über die ruhige und reine Wasseroberfläche erheben, wie sie alle bebaut sind und eine jede Insel noch dazu mit einem niedlichen Hause geziert ist. Sehet die vielen schönen Fahrzeuge auf dem Wasser, wie dieselben recht gut besetzt sind und sich von einer Insel zur anderen bewegen. Ihr wundert euch, ihr sehet noch nicht den hundertsten Teil; je weiter wir vorwärts dringen werden, desto ausgedehnter wird der See.
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Aber wie ihr sehet, das linke Ufer bildet noch immer eine breite Talgegend bis zur linken Gebirgskette hin, und wir haben noch eine gute Weile zu wandeln, bis wir dieses Tal mehr eingeengt, dafür aber den See mehr ausgebreitet vor uns erschauen werden. Da auf einem schönen grünen Hügel zu unserer linken Seite befindet sich ein recht schöner Tempel mit einem goldenen Dache. Und wie ihr sehet, befindet sich auch eine Menge Menschen in diesem offenen Tempel, die mit weißen Kleidern angetan sind. Ihr möchtet wohl wissen, was sie da tun?
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Sehet aber nur an das nahe Seeufer, da entsteigt soeben einem niedlichen Wasserfahrzeuge eine Gesellschaft, die sich ebenfalls zu diesem Tempel hinbegeben wird. Fraget sie nur, und wir werden sogleich erfahren, was sie zu diesem Tempel hinzieht. So ihr euch aber nicht getrauet, da will ich solches auch wohl tun; und so habet denn acht! Ich will einen anreden.
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Höre, guter Freund und Bruder im Herrn! Was zieht euch hin in den Tempel, der da erbauet ist auf der Höhe des grünen Hügels? Er antwortet: Freund und Bruder in dem Herrn, wie du sagst, woher bist du, daß du solches nicht wissest? Ich entgegne: Was siehst du dahin, woher ich komme? Er antwortet: Ich sehe dahin gegen Morgen. Ich entgegne: Gut, so du gegen Morgen siehst, daher ich komme, wie magst du mich fragen, woher ich käme? Ich aber will es derer wegen, die mit mir sind, daß du mir gegenüber offener Sprache sein sollst.
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Der Gefragte verneigt sich und spricht: Mächtiger Bote des Herrn! Ein Weiser von Morgen her, sicherlich ein dir wohlbekannter Bruder, lehrt hier die Liebe des Herrn; darum gehen wir hin, um zu hören solche hohe Weisheit. Ich sage zu ihm: Wie lange seid ihr schon unsterbliche Bewohner dieser Inseln? Er spricht: Mächtiger Bote des Herrn! Wir bewohnen diese Gegend nach entsprechender Weltrechnung schon über hundert Jahre. Ich entgegne: Möget ihr denn nicht dem Morgen näherrücken?
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Er spricht: Wir sind des Weges unkundig. Diese Insel aber ward uns beschieden zur Wohnung und zu unserem Unterhalte. Es kam niemand, der uns weiterbrächte, und uns gebrach es allzeit am Mute, daß wir aus eigenem Antriebe solch eine uns endlos weit vorkommende Reise hätten unternehmen können. Die Weiseren unter uns sagen, daß der Morgen, dessen Licht wir von hier aus wohl erblicken, endlos weit entfernt ist. Darum gedenken wir, daß solcher für unsere Kräfte nimmerdar zu erreichen ist, und es bleibt uns daher nichts übrig, als unsere große Sehnsucht dahin soviel als möglich zu beschwichtigen. Zudem aber denken wir noch, daß dieses, was wir hier besitzen, schon viel zu viel für uns ist, und ist alles pure Gnade und Erbarmung des Herrn; und darum sind wir auch dankbarst zufrieden mit dem. Nur eines möchten wir einmal genießen, und wir wären für ewige Zeiten ums Unendliche glücklicher, und dieses eine wäre, daß wir nur einmal den Herrn zu sehen bekämen!
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Ich entgegne: Also ziehet nur hin in den Tempel, da die Liebe zum Herrn gelehrt wird; diese ist der Weg, auf welchem sich euch der Herr nahen wird. Sehet, die Gesellschaft zieht nun schon eilend hin über die schönen Felder zum Tempel.
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Ihr fraget mich: Welcher Klasse Menschen haben denn diese bei ihrem Leibesleben auf der Erde angehört? Ich sage euch: das sind die sogenannten gläubigen Christen, welche in dem alleinigen Glauben die Rechtfertigung suchten und die Liebe nicht wohl anerkennen wollten, als tauge sie nichts fürs ewige Leben, sondern allein der Glaube. Und solche Begründung hält sie hier. Der See bezeichnet die Unzugänglichkeit derjenigen, die sich in irgend etwas begründet haben. Die Inseln aber bezeichnen, daß die Begründung aus dem Worte des Herrn hervorgegangen ist. Weil aber die Wahrheit nicht in Verbindung mit der Liebe ist, oder das Glaubenswahre nicht in der wahren himmlischen Ehe steht mit dem Liebeguten, so ist das bewohnbare Ländertum dieser Völker allenthalben durch das dazwischenstehende Wasser getrennt. Die Fahrzeuge, die ihr auf dem See erblicket, bezeichnen die freundlich gute Handlungsweise solcher Menschen auf der Erde. Diese Handlungsweise bringt, wie ihr seht, diese Inselbewohner in wechselseitige Verbindung.
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Diese Gegend hier zur linken Seite aber bezeichnet diejenigen, welche aus den Glaubenswahrheiten nach und nach in einiges Liebtätigkeitsgute übergegangen sind und glauben darum auch an die Liebe des Herrn; aber es bleibt mehr beim Glauben als bei der Liebe. Solches bezeichnen allenthalben die hohen und starken Bäume, welche aber dennoch keine genießbare Frucht tragen; daher die Lebensmittel, wie ihr sehet, nur kleinwüchsig auf dem Boden in gehörig reichlicher Menge vorkommen. So bezeichnen auch die Pyramiden auf den runden Gebirgshöhen zur linken Seite mit den leuchtenden Sternen über den Spitzen, daß das oberste Prinzip dieser Menschen ,,der Glaube" ist, und ebenfalls das alleinige Licht. Die mit Zedern wohlbewachsenen übrigen Teile dieser Berge bezeichnen die Macht des Glaubens.
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Daß sie aber keine genießbare Frucht haben, solches besagt, daß der Glaube allein das Leben nicht bewirkt. Und wenn schon in dem Glauben allein für sich ein geistiges Leben waltet, so hat es aber doch nur wenig Früchte, durch deren Genuß sich das Leben zu einer höheren Potenz kräftigen könnte.
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Die Gegend zu unserer rechten Seite mit dem schroffen Gebirge grenzt zunächst an den Norden. Daher ist dieses Gebirge auch so schroff und hoch und bezeichnet die Grenzlinie zwischen dem Abend und Norden.
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Ihr fraget, ob diese Gegend auch bewohnt ist. O ja; aber zumeist von gutmütigen Heiden, wie auch von solchen, die durch den Bilderdienst ihre Herzen bewahrt haben vor Bosheit und dabei übrigens rechtschaffene Weltbürger waren. Die Tempel, die ihr jenseits hier und da über den Waldungen hervorragen sehet, sind ebenfalls Lehrplätze, in denen solche Wesen von ihren Irrtümern befreit werden können, so sie ernstlich wollen!
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Solange aber solches nicht der Fall ist, werden sie belassen wie sie sind, und es wird ihnen kein Zwang angetan. Da wir solches nun wissen, so können wir füglichermaßen wieder unsere Füße weiter vorwärts setzen.
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Ihr fraget schon wieder: Was ist denn dort zur linken Seite, wo der See breiter wird und das Land zur linken Seite sich zuenget, für eine überaus hohe Säule? - Gehen wir nur fleißig darauf zu; wir werden sie bald erreichen. Sehet, sie kommt uns näher und näher zu stehen, und wie ihr sehet, sind wir bereits bei ihr. Leset, was da oben steht! Ihr leset richtig, denn es heißt: ,,Grenzmarke zwischen dem Reiche der Kinder und dem Vorreiche" welches ist ein Wohnort derer, die eines Überganges noch unfähig sind.
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Und nun sehet weiter vorwärts, wie sich da ein unübersehbares großes Meer ausbreitet, und ihr nicht möget irgendein Land erschauen. Das ist die nämliche schimmernde Fläche, die wir ehedem von weiter Ferne her erschauten. Sehet nur hin, dort vorwärts, ganz im Hintergrunde werdet ihr auch die Sterne erblicken. Für heute jedoch wollen wir bei dieser Säule ausruhen, und fürs nächste Mal erst unsere Seereise gegen den tiefen, besternten Hintergrund beginnen. Und somit gut für heute!