Die Geistige Sonne
Band 1
Mitteilungen über die geistigen Lebensverhältnisse des Jenseits
- Kapitel 33 -
Über geistige Erscheinlichkeiten
Wenn ihr eure Augen recht anstrengen wollet, so werdet ihr mehr zur rechten Hand etwas wahrnehmen, das sich artet wie etwa eine Staubwolke. Ihr bejahet, solches zu erschauen; es ist gut. Bewegen wir uns daher nur recht schnell gegen diese Staubwolke hin, und wir werden ihr bald näherkommen und sie beschauen in ihrer entfalteteren Gestalt. Ihr fraget: Was besagt denn hier eine solche Staubwolke? Ich sage euch: Eben nicht gar zuviel; ihr werdet auf der Erde oft von den sogenannten ,,Dunstmachern" etwas gehört haben und sehet, das ist ein entsprechendes Bild davon. Wie und auf welche Art werdet ihr euch in der Nähe dieses Phänomens bald überzeugen; daher nur noch einige Schritte, und wir sind bei dem Phänomen.
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Nun sehet, hier sind wir schon; was erblicket ihr? Ihr saget: Wir erblicken nun keine Staubwolke mehr, aber dafür eine reichzählige Gesellschaft zwerghaft verkümmerter Menschen beiderlei Geschlechts. Diese Zwergmenschen blähen sich gegeneinander auf, stellen sich auf die Zehenspitzen, es will ein jeder größer sein denn der andere. Die Kleinsten nehmen sogar Sand in die Hand, werfen ihn über sich in die Höhe und scheinen dadurch den anderen anzudeuten, was für Riesen sie sind. Ihr habt recht bemerkt, denn also kommt ihre Sinnesart zur Erscheinlichkeit.
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Jetzt treten wir völlig zu ihnen hin, und es wird sich diese ganze Gesellschaft gleich wieder anders gestalten. Nun sehet, wir sind ihnen vollkommen auf der Ferse; was bemerket ihr jetzt? Ihr saget: Jetzt kommen sie uns etwas größer vor, blicken sich gegenseitig überaus zuvorkommend und freundlich an, tun gegenseitig also, wie da tun die koketten Frauenspersonen in einer Gesellschaft. Ihr habt wieder recht bemerkt; aber ihr fraget nun, worin das liege, daß man eine solche Gesellschaft von den verschiedenen Standpunkten auch allzeit verschieden erschaut. Dies kommt daher, weil es auf der Welt auch also ist. In der vollkommenen Nähe getraut sich einem Mächtigen niemand die Wahrheit ins Gesicht zu sagen, selbst die Mächtigen untereinander scheuen solches; daher macht sich alles gegenseitig den Hof.
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Wenn eine solche Gesellschaft auseinandergeht, so erhebt sich ein jeder bei sich selbst über den andern und weiß eine Menge zu bemängeln, und so will demnach ein jeder sich über den andern erheben; aber gar zu laut getraut sich noch niemand etwas Bestimmtes auszusprechen, sondern stellt nur ganz bescheiden Vergleichungen an. Nur bei sich selbst weiß er alles gewisserart vom höchsten Standpunkte aus zu beurteilen: Solches bezeichnet das ,,Sand über sich werfen", oder, mit andern Worten, seinen Verstand über alle andern erheben. In weiter Entfernung von solcher Gesellschaft wird alles mit den schärfsten Augen betrachtet; die ganze Gesellschaft wird als ein Unsinn erklärt und all ihre Gespräche und all ihr Tun und Lassen für nichts als ein leerer Dunst oder für eine leere Prahlerei angesehen.
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Wenn ihr nun diese zwei gegebenen Verhältnisse einander gegenüberhaltet, so werdet ihr daraus folgenden Schluß ziehen können: In der Ferne stellt sich der wahre Prospekt einer Sache dar; in der größeren Nähe geht der Totalprospekt schon mehr und mehr verloren, dafür aber stellt sich mehr die Sonderlichkeit dar. In der vollen Nähe ist von dem Hauptprospekte nicht das geringste mehr zu entdecken; dafür aber tritt die Einzelheit desto bestimmter vor die Augen.
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Wer solches nicht wohl fassen möchte, den mache ich auf eine naturmäßige Erscheinung in der materiellen Welt aufmerksam. Wenn er sich beispielsweise ungefähr zehn Stunden von einem namhaften Gebirge entfernt befindet, so überschaut er dasselbe, und es liegt dann als ein bestimmtes Bild vor ihm. Nähert er sich dem Gebirge dann auf eine Stunde, so wird dasselbe gewisserart in seinen Verzweigungen auseinandergehen, und er wird nun eine Menge Vorberge und Gräben entdecken, welche in der Ferne mit dem Hauptberge nur eine Fläche auszumachen schienen. Steigt er aber nun völlig auf den Berg selbst, so geht es ihm wie einem, der den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht; denn da ist von der ersten Ansicht nahe keine Spur mehr zu entdecken. Ich meine, durch eine nur einigermaßen aufmerksame Betrachtung dieses Beispieles werden uns die drei verschiedenen Ansichten unserer Gesellschaft vollkommen klar werden. Aber nun fragt ihr und saget: Solches alles ist ja richtig; aber was hat es denn mit dieser Gesellschaft noch für eine oder die andere Bewandtnis? Wessen Geistes Kind ist sie? Wir können solches nicht aus dem Benehmen dieser Wesen herausbringen; denn ihr ganzes Tun und ihre Sprache gleichen mehr einer Pantomime als irgendeiner Konversation, aus verständlichen Worten bestehend.
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Ich sage euch: Das ist ja eben klar. Ihr müßtet wirklich noch sehr blind sein, wenn ihr solches nicht erraten solltet, wie das ist, woher und wohin. Sehet, das ist eine Gesellschaft aus lauter großen, weltsüchtigen und eigennützigen sogenannten Staatsbeamten, die ihr Amt nur zum eigenen Besten, aber nicht zum Besten des ganzen Staates und dessen Bürger verwalteten.
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Diese Menschen taten auf der Welt überaus höflich und freundschaftlich miteinander; es wußte aber dessen ungeachtet ein jeder auf eine ganz feine Weise sich vor dem andern geltend zu machen. Keiner aber traute dem andern und fand daher notwendig, ihn durch allerlei Schleichwege so zu halten, daß der andere nicht viel Geheimnis haben konnte vor seinem Nachbar. Was ist aber solch eine eigennützige Freundschaft und ein solch fein beabsichtigtes Hofmachen anderes als eine freche Koketterie, welche an und für sich nichts anderes als eine Wurzel oder ein Same zur eigentlichen Hurerei ist. Denn also wirft auch eine habsüchtige und wollüstige Hure einem Manne freundliche und viel versprechende Blicke zu, um ihn in ihr Netz zu locken und dann von ihm etwas zu bekommen. So trägt auch ein Geier eine Schildkröte in die Höhe, um dann durch ihren Fall eine gute Freßbeute zu gewinnen.
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Solche Menschen nützen dann dem Allgemeinen gar wenig, und sie selbst sind dabei durch eine überwiegende List der andern auch eben nicht am vorteilhaftesten daran. Ja, solche Menschen gleichen noch den Spielern, die sich abends freundlich und brüderlich besuchen und gegeneinander voll Artigkeit sind. So sie sich aber zum Spieltische setzen, da möchte sich keiner auch nur das Allergeringste daraus machen, wenn sein Mitspieler Haus und Hof an ihn verspielen würde.
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Ihr saget hier: Aber liebster Freund, das sind ja doch offenbar böse Menschen; wie kommen denn diese daher, da sie nicht verloren sind? Ich sage euch: Ihr urteilet hier zu grell; möchtet ihr denn nicht einen Unterschied machen zwischen den gewalttätigen Dieben und den sogenannten armen Gelegenheitsdieben? Sehet, das ist auch unsere Gesellschaft. Ihre Stellung in der Welt hat ihnen gewisserart ein staatlich politisches Recht eingeräumt, also zu handeln, und sie sind auch überzeugt, daß sie vollkommen ihrem Berufe gemäß gehandelt haben.
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Hier im Reiche der Geister aber wird dem Menschen niemals eine Handlung als verdammlich angerechnet, so er dieselbe mit einem sein Gewissen nicht beunruhigenden Rechtsgefühle vollzogen hat, und dieses war auch bei diesen Menschen der Fall. Bei ihnen ist nichts eine volle Wirklichkeit, weder das Gute noch das Arge, sondern alles ist gewisserart nur eine politische, mehr oder weniger pfiffige Komödie. Aus diesem Grunde sind sie auch hier, damit in ihnen all das Nichtige und Falsche verzehrt werde. Wenn solches, freilich wohl mit äußerst langsamem Fortschritte, bewerkstelligt wird, dann erst werden sie aus dieser Gegend ausgeboren und kommen in die Täler rechts im Hintergrunde, wo wir unseren Stoiker haben kennengelernt.