Die Geistige Sonne
Band 1
Mitteilungen über die geistigen Lebensverhältnisse des Jenseits
- Kapitel 63 -
Die beichtende Nonne und der wahre Beichtvater
Als sie (die Klosterfrau) in ihrer Zelle anlangt, gibt sie mit einem Glöcklein alsbald das Zeichen, daß die Klosterwärterin zu ihr in die Zelle kommen solle. Was wird sie ihr etwa wohl zu sagen haben? Es handelt sich hier um nichts anderes als um die Bestellung des Beichtvaters, damit sie noch vor dem Chorgebete sich reinige von der Sünde, welche sie vor der Oberin begangen hat. Die Klosterwärterin besorgt sogleich dies Geschäft und unsere Dame begibt sich hinab in das Beichtkabinett, kniet sich zum Beichtgitter hin und erwartet da den Beichtvater. - Nun gehen wir hin und wollen da einmal eine Beichte belauschen. Was sie beichten wird, das wissen wir; aber was der Beichtvater ihr darauf sagen wird, das wissen wir noch nicht, wollen es daher erfahren.
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Der Beichtvater kommt nun ans Gitter und legt sein Ohr an dasselbe. Nun hat sie gebeichtet, und er spricht zu ihr: Höre du, mein liebes Beichtkind, wenn du deine Ordensregel, wie sie auf der Erde bestand, vor dein Gemüt stellst, so hast du mit deiner Äußerung dich offenbar versündigt, aber nicht gegen die Ordnung Gottes, denn diese gab dir ja solches zu denken, sondern gegen die Ordnung des Klosters, welche dir solches zu denken verbietet. Für den Fehler gegen die Ordnung des Klosters hast du auch von deiner Vorsteherin die wohlzugemessene Züchtigung erhalten und hast dich nach derselben der weiteren Anordnung bis hierher gefügt. Hier handelt es sich um Vergebung deiner Sünde von der göttlichen Seite. Gott aber hat in Seinem Worte niemals eine solche Klosterordnung zu einem Gesetz gemacht. Menschensatzungen, und wären sie mehrere tausend Jahre gang und gäbe, hat Gott nie als die Seinigen sanktioniert und siehet es nicht an, ob jemand sich gewisserart notgedrungen gegen die Satzungen der Welt vergeht; und somit habe ich dir hier von der göttlichen Seite auch nichts zu vergeben.
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Unsere Dame spricht zum Beichtvater: Hochwürdiger Priester! Der du hier vor mir am Richterstuhle der göttlichen Gerechtigkeit sitzest, wie magst du sagen, daß unser Klosterorden und dessen Regel keine göttliche, sondern eine Menschensatzung ist! - Sieh, wenn ich solches unserer Oberin kundgebe, so laufen wir beide Gefahr, auf das empfindlichste gestraft zu werden. Mich wird man als eine vom Teufel Besessene behandeln, dich aber als einen offenbaren Ketzer entweder exkommunizieren oder gar in den vollkommenen Kirchenbann legen; daher erkläre dich deutlicher, was du damit sagen willst.
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Der Beichtvater spricht: Höre du, meine liebe Schwester, wer Christum, den Herrn, als den alleinig wahren Gott Himmels und der Erde über alles liebt, der fürchtet weder die Exkommunikation noch den Kirchenbann. Siehe, auf der Erde lachen gegenwärtig die Menschen, welche am Weltlichen hängen und noch von Christo wenig oder gar nichts wissen, über solche kirchliche Eigenmächtigkeit. Warum lachen sie denn? Weil sie in dieser Eigenmächtigkeit keinen Schaden für ihr Gewerbsleben erschauen. Warum sollen denn diejenigen nicht lachen, welche Christum wahrhaft lieben? - Denn diese werden doch wohl noch einen bei weitem geringeren Schaden von seiten dieser Eigenmächtigkeit zu befürchten haben.
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Hast du nie gehört, was Christus einmal im Tempel zu der Ehebrecherin gesagt hat, als sie Ihm die Pharisäer und Schriftgelehrten als nach dem mosaischen Gesetze der Steinigung würdig vorgeführt haben?
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Unser Beichtkind spricht: Solches weiß ich wohl; aber was willst du damit sagen?
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Ich will dir damit nichts anderes sagen, spricht der Beichtvater, als daß Christus in Seinem Urteile bei weitem gelinder ist denn Seine Priester und Schriftgelehrten. Diese haben unsere Ehebrecherin ohne die geringste Gnade und Erbarmung der öffentlichen Steinigung als vollkommen würdig erkannt; Christus aber sagte zu ihnen: ,,Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie!"
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Siehe, solche Rede hat unsere Pharisäer und Schriftgelehrten wie ein Blitz getroffen, denn es war auch ein anderes Gesetz, welches die oberste Priesterschaft sündenfrei haben wollte. Und um dieses Gesetz wußten die Pharisäer und Schriftgelehrten ebenso gut wie um das Gesetz gegen die ehebrecherischen Weiber. Zugleich aber wußten unsere Pharisäer und Schriftgelehrten, daß sie selbst die Sünde des Ehebruchs in jeder Hinsicht, sowohl in geistiger wie in leiblicher, begangen haben. Darum auch erschreckte sie diese überaus eindringliche Antwort so sehr, daß sie sich samt und sämtlich, unserer Ehebrecherin ganz vergessend, behende davongemacht haben. Sie wollten für diesmal Christum nicht mehr reizen, weil sie befürchteten, er möchte ihre Schmach den vielen gläubigen Juden kundtun, welche sie dann ergriffen und auch also behandelt hätten, wie das Gesetz Mosis für diesen Fall die scharfe Bestimmung hatte. Was geschah aber mit unserer Ehebrecherin? Sie stand nun allein da. Hat sie der Herr etwa verdammt? O nein; er fragte sie und sagte: Haben dich denn diejenigen, die dich hierhergebracht, nicht verdammt? Und unsere Ehebrecherin spricht: Nein, o Herr!, es hat mich niemand verdammt. Und Er spricht zu ihr: ,,Also verdamme auch Ich dich nicht; gehe aber hin und sündige hinfort nicht mehr!" - Nun, was sagst du zu dieser Handlungsweise des Herrn?
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Unsere Dame spricht: Ich kann hier unmöglich etwas anderes sagen, als daß der Herr sicher barmherziger und gnädiger ist, als alle besten Menschen der Erde zusammengenommen. Der Beichtvater spricht: Nun gut, meine liebe Schwester, wenn du den Herrn also erkennst, da wirst du doch wohl auch erkennen, daß meine Belehrung eine vollkommen gültige ist! - Wenn des Herrn Güte sich bei der Ehebrecherin schon nicht an das mosaische Gesetz hielt, welches doch von Ihm ausging, um wie viel weniger wird Er Sich an eine Klosterregel binden? Denn siehe, der Herr ist vollkommen frei und kann tun, was Er will. Und so Ihn jemand fragen wird: Herr, was tust du?, so wird Er ihm keine Antwort geben. - Ich aber bin hier als ein Beichtvater zu dir gesandt vollkommen in Seinem Namen und trage daher auch Seinen Namen. Wenn ich tue nach und in diesem Namen, sage mir, wen habe ich da wohl zu fürchten?
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Du sprichst: Den Herrn sicher nicht, so du vollkommen in Seinem Namen handelst! - Nun, wenn ich Den nicht zu fürchten habe, sollte ich da etwa dein Kloster oder die kirchliche Eigenmächtigkeit fürchten? O siehe, solches ist bei mir mitnichten der Fall; und so denn sage ich dir: Wenn du eine wahre Liebe zum Herrn hast, so sollst du auch aus dieser Liebe heraus etwas wagen, nämlich daß du nun hingehst und sagst deiner Oberin, was ich dir gesagt habe; - und sage ihr dann auch, daß sie sich mit dir nach meinem Willen sogleich hierher begeben solle.
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Unsere Dame fragt, was sie denn für eine Buße als Genugtuung verrichten solle.
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Der Beichtvater spricht: Nichts anderes als das, was ich dir soeben gesagt habe.
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Unsere Dame steht nun auf, und da unsere Oberin zufolge des längeren Ausbleibens einige Bedenklichkeiten in sich zu nähren anfing, so kommt sie selbst unserer Dame schon an der Schwelle des Beichtkämmerleins entgegen, und unsere Dame erzählt ihr da, was ihr der Beichtvater gesagt hat. Die Oberin schlägt darüber die Hände über dem Kopfe zusammen und spricht zu unserer Dame: Siehst du, welch eine Sünde du begangen hast! Die Gnade Gottes ist gänzlich von dir gewichen, und ein Teufel hat die Gestalt eines Lichtengels angenommen und sich als Beichtvater in den Beichtstuhl gemacht und gab dir solche verdammliche Lehre. Er verlangt, daß sogar ich mich mit ihm in eine Unterredung einlassen soll, damit durch mich, die ich die Seele des Klosters bin, das ganze Kloster hinabgezogen würde in die ewige Verdammnis. Ja, ich habe mir's wohl gar oft gedacht, daß du solch ein Unglück über dieses heilige Haus Gottes bringen wirst. Nun ist kein anderes Rettungsmittel da, als daß wir uns allerkräftigst vereinigen und unsere große Not der allerseligsten Jungfrau Maria, dem hl. Joseph und der hl. Theresia vortragen. Erhören uns diese nicht, so sind wir verloren; denn hier ist bei Gott keine Gnade und Erbarmung mehr!
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Unsere Klosterdame spricht zur würdigen Frau: Sagen hochwürdige Mutter, was Sie wollen, so aber glaube ich nach der Belehrung des allerehrwürdigsten Beichtvaters nun keinem Ihrer Worte mehr und bin bereit, wenn es hier möglich wäre, eher noch einmal zu sterben, als über die Belehrung dieses würdigen Beichtvaters nur die allergeringste schiefe Meinung in mir zu hegen.
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Hier will die würdige Frau Oberin unserer Dame aus lauter klösterlichem Eifer einen Schlag auf den Mund versetzen. Aber unser Beichtvater ist so keck, reißt das Beichtgitter auf, wozu er auch hinreichende Kraft besitzt, und entreißt unsere Dame solcher Mißhandlung. Was da ferner geschieht, wollen wir das nächste Mal vernehmen.