Die Geistige Sonne
Band 1
Mitteilungen über die geistigen Lebensverhältnisse des Jenseits
- Kapitel 95 -
Weitere Proben. Des Lohnes Anfang
Nun aber ist auch unser Prior mit seinem schlichten Manne hocherfreuten Angesichtes bei uns und macht den schlichten Mann soeben auf mich aufmerksam. Er spricht zu Ihm: Siehe, lieber Freund und Bruder, da zwischen den zwei unbedeutender scheinenden Geistern ist eben der erhabene Bote. Der schlichte Mann spricht: Gut, mein Freund und Bruder, so gehe hin und zeige ihm alles an. Der Prior spricht: Aber du, lieber Freund, wirst doch auch mitgehen? Der schlichte Mann spricht: Gehe du nur voran; und wenn es Not sein wird, da werde ich dir schon folgen.
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Der Prior nimmt solches an, kommt nun zu mir her und spricht: Lieber erhabener Bote des allerhöchsten Gottes aus den Himmeln, siehe, da sind alle, die da gefangen waren; nicht einer ist zurückgeblieben, im Gegenteil ist noch Einer mehr mitgekommen als da ihrer gefangen waren. Aber dieser Eine ist kein Gefangener, sondern diesem Einen habe ich nächst Gott, dem allmächtigen Herrn, die Rettung dieser gefangen gewesenen armen Brüder zu verdanken.
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Nun spreche ich: Ja, mein lieber Freund und Bruder, wenn dieser Fremdling das dir anbefohlene Werk vollbracht hat, wie steht es dann mit deinem Verdienste? Ich habe dir ja eine Bedingung gemacht, derzufolge du allein mit der Hilfe des Herrn die Gefangenen hättest freimachen sollen; wie hast du zu dem Behufe dich eines Fremdlings bedienen können, ohne darauf bedacht zu sein, wie du hättest wirken sollen und wer der fremde Mann ist, der dir geholfen hat? Wenn du also handelst, was wird man dir dann wohl ferner anvertrauen können?
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Weißt du denn nicht, daß der Herr dir eine Kraft nicht darum verliehen, daß du damit faulenzen sollst, sondern daß Er dir die Kraft des Lebens aus Seiner großen Erbarmung nur zur gerechten Liebtätigkeit geschenkt hat? Frage dich nun selbst, in welchem Lichte du also vor mir erscheinst? Ich aber sage dir, rechtfertige dich nun ordentlich vor mir, sonst sehe ich deine Handlung als für unverrichtet an und setze dich am Ende selbst hinter die dir wohlbekannte Kluft, da du für alle den Anblick der Flammen ertragen sollst und dabei nachdenken, wie man auf den Wegen des Herrn recht handeln soll.
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Der Prior spricht: Mein lieber Freund und Bruder, wenn es sonst nichts gibt als nur das, so stecke mich nur geschwind hinter die flammende Kluft. Und sollte ich auch nach dem Erdmaße volle tausend Jahre dahinter ganz allein schmachten, dabei aber meine armen Brüder gerettet wissen, so will ich dennoch hinter den Flammen den Herrn loben und preisen über alle Maßen, darum Er meinen armen gefangenen Brüdern durch diesen liebevollen Fremdling so gnädig und barmherzig war!
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Denn ich bin in mir überzeugt, daß ich deinen Rat gar pünktlich, und das nicht gezwungen, sondern freimütig von mir selbst aus befolgt habe. Ich habe mich gemeinschaftlich mit den armen gefangenen Brüdern an den Herrn gewendet; und als unser Vertrauen in uns den möglicherweise höchsten Grad der Liebe und Erbarmung des Herrn erklommen hatte, da kam dieser Retter zu mir, und ich dachte mir, des bin ich wohl gewiß, daß ich ewig allerunwürdigst bin, um etwa gar eine persönliche Hilfe vom Herrn zu erwarten. Da aber der Herr dennoch endlos barmherzig ist, so hat Er mir sicher in Seinem allerheiligsten Namen diesen Mann zum Retter gesandt; dem Herrn alles Lob, alle Ehre, und allen Preis! Die Brüder sind gerettet ohne mein allergeringstes Hinzutun; nun aber kann mit mir geschehen, was da will! Soll ich hinter die Kluft, da gib mir nur gleich den Befehl dazu, und ich will, jauchzend den Herrn lobend, dahin eilen und, wenn es möglich ist, für jeden einzelnen zehnfach büßen!
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Nun spreche ich: Gut, mein Freund und Bruder; ist das aber auch dein vollkommener Ernst? Der Prior spricht: O Freund und Bruder, es kommt dabei ja nur auf eine Probe an; gib mir den Befehl und du sollst dich sobald überzeugen, daß ich so handeln will, wie ich spreche und wie es der allerheiligste Wille des Herrn erheischt! Nun spreche ich: Nun gut, also kannst du dich dazu sogleich auf den Weg machen, und so gehe denn hin für deine Brüder!
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Sehet, der Prior dankt mir für diesen Befehl, kehrt sich um und geht geradewegs wieder zurück, um hinter der Kluft seinen Posten einzunehmen. Im Vorübergehen aber spricht er noch zu seinem schlichten Manne: Lieber Freund und Bruder, du hast ehedem doch recht gehabt. Wie du siehst, muß ich nun im Ernste selbst für diese meine geretteten Brüder hinter die heiße Kluft gehen und nachdenken, wie man auf den Wegen des Herrn handeln soll. Aber ich gehe gern; denn wenn ich nur meine Brüder gerettet weiß, an mir liegt wenig. Kann ich den Herrn wegen Seiner großen Liebe und Erbarmung nur loben und preisen und Ihn lieben über alles nach meiner Kraft, da sollen mich die Flammen sehr wenig beirren. Und so gehe ich denn im Namen des Herrn; wenn du aber zum Herrn kommst, da gedenke meiner!
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Der schlichte Mann spricht: Ja, dessen kannst du versichert sein, daß Ich deiner nicht vergessen werde; gehe aber nur hin und erfülle den Willen des Boten! Sehet, nun geht er im Ernste jauchzend, den Namen des Herrn lobend, dahin. Ihr fraget nun wohl, wie lange er dort wird verweilen müssen? Ich aber sage euch: Sorget euch nicht um ihn, er wird gar bald wieder da sein; denn anstatt der Kluft wird er nur hohe Gäste des Himmels antreffen, die ihm ein neues Kleid anziehen werden.
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Da sehet nur hin, er kommt ja schon wieder, und das gerade auf mich zu, mit einem weißen Gewande angetan und mit einer leuchtenden Krone auf dem Haupte. Er ist hier, und ich frage ihn: Lieber Freund und Bruder, ja was ist denn das? Ist das die Kluft? Du kommst, anstatt hinter der Flammenkluft zu büßen, ja nun mit einem himmlischen Liebegewande angetan?
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Der Prior spricht: O lieber Freund und Bruder, ich kann nicht im geringsten dafür. Siehe, wie ich gerade in den traurigen Hintergrund unseres Refektoriums gehen wollte, da standen anstatt der feurigen Kluft drei glänzende Jünglinge da und sprachen zu mir: Bruder im Herrn, wir wissen, wohin Du willst; aber dahin ist nicht deine Bestimmung, sondern es war nur eine letzte Probe für dein Herz, ziehe daher dein Gewand der ehemaligen Irrtümlichkeit aus und ziehe dafür dieses neue aus der Liebe und Wahrheit an. Ich sträubte mich und sprach: O Freunde Gottes, solcher Gnade bin ich in Ewigkeit nicht würdig. Aber es half all mein Sträuben nichts, ich wollte oder wollte nicht, das Kleid ward mir vom Leibe genommen und dieses Kleid dafür in Blitzesschnelle angezogen. Und nun stecke ich darin und schäme mich darum, weil ich so eines Kleides zu unwürdig bin! Aber was will ich machen? Das Kleid ist einmal auf dem Leibe; und da ich kein anderes habe, so kann ich mich dessen nicht entblößen und dadurch zu einem ärgerlichen Gelächter vor meinen Brüdern stehen. - Ich denke aber, solches alles läßt der Herr an mir geschehen, damit ich so recht durch und durch gedemütigt werden soll. Darum aber sei Ihm auch alles Lob, alle Ehre und aller Preis ewig; denn nur Er allein, ja ganz allein ist gut, auch in den Himmeln allein gut.
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Nun spreche ich: Ja, lieber Freund und Bruder, wenn es also ist, da muß ich mich denn freilich wohl auch zufriedenstellen. Aber nun will ich dir eine Frage stellen, und diese mußt du mir beantworten. Sage mir: Was würdest du wohl tun, wenn, setzen wir den Fall, nun der Herr zu uns käme?
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Der Prior spricht: O Freund und Bruder, das wäre entsetzlich! Fürwahr, wenn solches möglich wäre, da wäre es mir ja ums Millionfache lieber, entweder hinter der Flammenkluft in dem schmutzigsten Winkel zu stecken, oder mich wenigstens hier in dem allerdürftigsten Kleide zu befinden. Denn wenn der Herr mich in dieser Kleidung anträfe und mich dann etwa gar fragen möchte: Wie kommst du, sicher Allerunwürdigster, zu diesem Kleide himmlischer Ehre? - ja, Bruder, da wären wohl hundert Berge zu wenig, die mich dann sogleich bedecken sollten, um nicht länger solch eine allergrößte und wohlverdiente Schmach vor dem Angesichte des Herrn zu ertragen. Wenn es dir aber möglich wäre, mir ein anderes Kleid zu verschaffen, so würdest du mir sicher den größten Liebesdienst erweisen. Bekleide alle meine Brüder, die sicher würdiger sind als ich, mit solchen himmlischen Gewändern; aber nur mich stecke in rechte Lumpen und laß mich dann zuallermeist im Hintergrunde sein, wenn der Herr erscheinen sollte. Ich will Ihn da unbelauscht in der allergrößten Demut anbeten, aber nur im Vordergrunde laß mich nicht sein, denn jetzt, in diesem Kleide, sehe ich es erst ganz klar ein, daß ich der Allerletzte unter meinen Brüdern bin!
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Nun spreche ich: Lieber Freund und Bruder! Solches steht nicht bei mir, gehe aber hin zu deinem schlichten Manne, der ist ein eigenmächtiger Helfer im Namen des Herrn vollkommen, der wird dich sicher wieder erhören und dir geben nach deinem Verlangen.
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Der Prior spricht: Ja, lieber Bruder und Freund, der ist schon mein rechter Mann. Ich muß dir aufrichtig sagen: Ich habe dich zwar sehr lieb, aber diesen Mann habe ich wenigstens um hundert Prozent lieber als dich, denn er ist viel sanfter, und er erhört einen auch lieber, daher will ich mich nach deinem Rate auch sogleich in seine Arme werfen!
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Seht, nun geht der Prior auch schon hin zu seinem schlichten Manne, klagt ihm seine Not, und der schlichte Mann spricht zu ihm: Lieber Freund und Bruder, dieses Begehren von dir ist Mir über alles lieb, daher geschehe dir auch nach deinem wahren, demütigen Verlangen. Gehe aber hin, dort in der nächsten Gartenlaube wirst du schon ein anderes Gewand finden.
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Der Prior geht springend dahin, kommt aber sogleich wieder unverrichteter Dinge zurück und spricht zum schlichten Manne: Aber lieber Freund und Bruder, das wäre ein sauberer Tausch! Statt eines meiner würdigen allerlumpigsten Gewandes fand ich ein strahlend blaues Kleid, welches an den Rändern mit helleuchtenden Sternen verbrämt und um die Mitte mit einem hellroten Gürtel versehen und dazu so wohlduftend war, daß ich bei dessen Anblicke und bei der Wahrnehmung seines Wohlgeruches mich wie auf einmal in alle Himmel entrückt zu sein fühlte!
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Ich bitte dich darum, tue mir solches nicht mehr an, denn ich könnte es nicht ertragen. Laß mich aber eine ordinärste lodene Bauernjacke finden, und wenn sie noch so zerlumpt und zerflickt sein sollte, so werde ich darin aber dennoch ums Unbeschreibliche glücklicher sein als in diesem mich nun schon über alles stark drückenden Kleide.
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Der schlichte Mann spricht: Nun denn, so gehe in eine andere Laube dorthin, und du sollst das rechte Gewand finden.
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Sehet, unser Prior springt schon wieder; diesmal kommt er aber nicht so schnell zurück, und so muß er schon ein rechtes Kleid gefunden haben. Richtig, da seht nur hin, er kommt schon in einem wie grobgrauzwilchenen Kittel heraus und ist voll Heiterkeit über diesen Fund, geht nun wieder schnell hin zum schlichten Manne, dankt Gott vor ihm für diese ihm groß vorkommende Erbarmung, und der schlichte Mann spricht zu ihm: Du stehst jetzt freilich für dich behaglicher in diesem Demutsgewande; aber wenn der Herr kommen möchte und dann sagen würde: Freund! Wie kommst du hieher und hast kein hochzeitliches Gewand an?
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Der Prior spricht: Lieber Freund und Bruder, wenn ich dann in die äußerste Finsternis hinausgeworfen werde, so wird mir nicht mehr geschehen als was da vollkommen recht und billig ist. Nur in den allerdürftigsten Winkel mit mir hin; da ist mein Platz! Aber mich für den Himmel würdig zu denken, auch nur für den Allergeringsten unter denen, die allenfalls in einem alleruntersten Himmel sind, soll wohl ewig mein letzter Gedanke sein.
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Der schlichte Mann spricht: Nun gut; Ich will dir jetzt etwas ganz geheim sagen. Siehe, der Bote bearbeitet schon alle deine Brüder für die ganz nahe Erscheinung des Herrn, und Ich sage dir auch: Er wird bald hier sein! Was wirst du nun tun?
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Der Prior spricht: Lieber Freund und Bruder, um des allmächtigen Herrn willen, führe mich doch nach deiner besten Einsicht in irgendeinen allerletzten Winkel dieses Gartens, und wenn es dir nicht zu viel ist, so verbleibe wenigstens nur so lange bei mir, bis der allmächtige Herr mit diesen Brüdern Seine heilige Sache wird geschlichtet haben. Und sollte Er mich etwa hernach zuallerletzt aufsuchen wollen, so will ich mich so ganz allein auf mein Angesicht vor Ihm hinwerfen und Ihn da um Seine göttliche Erbarmung anflehen.
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Der schlichte Mann spricht: Wie steht es denn hernach mit deiner Liebe zum Herrn, da du dich vor Ihm gar so fürchtest?
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Der Prior spricht: Was meine Liebe zum Herrn betrifft, so ist sie wohl so mächtig, daß ich alles für Ihn tun möchte, wenn ich nur etwas tun könnte! Ich bin aber schon zufrieden, wenn ich Ihn nur, entfernt von Ihm, so ganz still in meinem Herzen lieben kann und darf! In Seiner Nähe zu sein, bin ich aber ohnedies ja in alle Ewigkeiten nicht würdig. Ich darf nur auf mein allerbarstes Philisterleben auf der Erde zurückblicken, und was ich mir da nicht selten auf die Macht Gottes zugute tat, so möchte ich vergehen vor Schande! Daher laß mich nur so geschwind als möglich die für mich heilsame Flucht ergreifen.
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Der schlichte Mann spricht: Lieber Freund und Bruder, Ich will deiner gerechten Demut durchaus nicht im Wege sein, daher folge mir schnell in jenen Winkel dorthin gegen Morgen. Dort werden wir beide am wenigsten belauscht sein, weil dieser Winkel mit dichtem Laubwerk verwachsen ist, durch welches man nicht so leicht und so geschwind durchsieht. Des Herrn Auge ist zwar freilich allsehend, aber das tut vorderhand nichts zur Sache. Gehen wir daher nur schnell hin, und wir wollen dort unsere demütigen Betrachtungen halten, wie der Herr erscheinen wird. Wenn Er Sich nur nicht etwa zu uns zuerst verliert! Der Prior spricht: Des sei versichert, zu den Unwürdigsten geht der Herr nicht am ersten, daher werden wir völlig sicher sein. Und so mögen wir denn gehen!