Die Geistige Sonne
Band 2
Mitteilungen über die geistigen Lebensverhältnisse des Jenseits
- Kapitel 50 -
Vom Verliebtsein und von der Liebe zum Herrn
Ihr saget: Lieber Freund und Bruder, du magst allerdings wohl recht haben, und es ist also, wie du gesagt hast. Aber siehe, es ist mit der plötzlichen Erweckung der Liebe eine schwere Sache, was wir hie und da schon aus der Erfahrung wissen. Es hat sogar in dieser Hinsicht mit dem sogenannten ,,Verliebtwerden" einen Haken. Wenn man der Sache so recht nachspürt, so bringt man gar bald in die Erfahrung, daß man die Liebe überhaupt nicht in seiner Gewalt hat, und man kann nicht sagen, daß man in ein Wesen, wann man nur immer will, mag verliebt werden, sondern es fügt sich solches nach den Umständen und nach den Bedingungen, und man ist als Liebender durchgehends kein aktives, sondern ein rein passives Wesen und muß im buchstäblichen Sinne genommen die Liebe nicht selten als eine Zentnerlast herumschleppen; und es gibt dann und wann durchaus kein Mittel, sich derselben ledig zu machen wie einer andern Last.
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Und so meinen wir denn auch hier, wären wir wirkliche Meister der Liebe, so würde es sicher durchaus nicht fehlen, daß wir den Herrn ergriffen mit der flammendsten Heftigkeit unserer Herzen. Aber wir können tun, was wir wollen, können drücken unser Herz und unser Gefühl pressen, wie die Trauben auf einer Kelter gepreßt werden, und es kommt alles eher heraus als eine von dir beschriebene flammende Liebe.
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Daher sind wir der Meinung, daß entweder die Liebe zum Herrn von einer ganz andern Beschaffenheit sein muß als etwa diejenige, die ein Mensch in der Blüte seines Lebens nicht selten zu einer schönen Jungfrau empfindet, oder die Liebe zum Herrn, wenn sie der Liebe zu einer Jungfrau ähnlich sein soll, muß unmittelbar vom Herrn Selbst nach Seiner großen Erbarmung in das Herz eingegossen werden; sonst ist es beinahe unmöglich, daß der Mensch aus seiner eigenen Kraft den Herrn allezeit mit der heftigsten Liebe erfassen könnte, wann er nur immer wollte.
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Und wenn es hier demnach auf uns ankommt, allhier plötzlich die größte Liebe zum Herrn zu erwecken, so wird es mit der Anschauung der Wunderdinge auf dieser Galerie sicher ebenfalls einen starken Haken haben. Denn wir können wollen, wie nur immer möglich, und dennoch können wir trotz alles intimsten Wollens unser Herz nicht also entflammen im Momente des Wollens, als wie leicht wir in der Nacht eine Kerze anzünden. Hier also, lieber Freund und Bruder, wird es eines guten Rates gar sehr vonnöten haben.
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Ja, meine lieben Freunde und Brüder, ihr habt einerseits wohl recht, und die Liebe ist stets des Menschen Meister, wie wir schon gestern in den Beispielen gesehen haben, weil sie so ganz eigentlich sein Leben selbst ist. Das Leben kann aber nicht beherrscht werden von dem, was nicht Leben ist; daher muß es schon ein anderes Mittel geben, dem die Liebe gehorcht und willig folgt dem höheren Rate dessen, dem sie gehorcht.
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Worin besteht aber dieses Mittel? Dieses Mittel besteht in der klaren Vorstellung dessen, was man so ganz eigentlich mit der Fülle der Liebe erfassen will.
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Versuchet einmal, ob ihr bloß dem Namen nach, und möge er noch so majestätisch klingen, euch in irgendeine Jungfrau verlieben möget! Ja, ihr werdet es bei solcher Bekanntschaft mit der Liebe eben nicht gar zu weit bringen; denn was man entweder gar nicht oder viel zu wenig kennt, das kann man ebensowenig mit der Liebe erfassen, als wie wenig man etwas, das gar nicht da ist oder nur subtil da ist, mit den Händen ergreifen kann.
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Wenn ihr aber von der vorbesagten Jungfrau eine vollkommene Beschreibung überkommen werdet, wie sie aussieht und wie sie beschaffen ist, und wenn ihr von dieser Jungfrau selbst noch obendrauf ein Handbilletchen gewissermaßen unbekannterweise überkommet, in welchem sie einen oder den andern aus euch vollkommen ihrer Liebe versichert, aus dem angegebenen Grunde, weil sie euch aus den Beschreibungen ebenfalls auf das Vorteilhafteste hat kennen gelernt, so wird eure Liebe zu dieser Jungfrau sobald erwachen, und ihr werdet den allersehnlichsten Drang in euch zu verspüren anfangen, so bald als nur immer möglich sich dahin zu begeben, allda die Jungfrau eurer in aller Liebe harret. Und eure Liebe wird heftiger und heftiger werden, je mehr Vorteilhaftes ihr von der Jungfrau unterwegs oder im Verlaufe der Zeit vernehmen werdet.
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Sehet, das ist sicher aus der Erfahrung richtig. Ich aber frage euch nun: Wie könnet ihr diese Jungfrau denn so mächtig in eurem Herzen ergreifen, da ihr sie ja doch nie gesehen habt und sie euch auch geflissentlich kein Porträt zukommen läßt, um euch gewisserart keine Vorsättigung, welche die eigentliche Liebe schwächen dürfte, zu gewähren? Die Antwort ist leicht und liegt ebenfalls in der Erfahrung: Weil ihr zu einer wohlbegründeten Vorstellung gelangt seid, durch welche euch die besagte Jungfrau stets mehr vielseitig auf das Vorteilhafteste dargestellt wurde.
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Ihre Eigenschaften, ihre Schönheit haben euch gefangen genommen, und ihr könnet nicht umhin, sie bei solchen Vorteilen, die sie euch bietet, zu achten und zu lieben; ihr müßt sie also lieben.
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Sehet, in diesem natürlichen Beispiele liegt es aber ja auch ganz offenkundig, auf welche Weise man sich der Liebe zum Herrn bemächtigen kann.
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Die Erkenntnis des Herrn ist die mächtige Triebfeder, welche die Funken im Herzen zusammenzieht, und dann durch dieselben das ganze Herz in eine helle Flamme versetzt.
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Wer möchte wohl Gott lieben können, so er Ihn nicht kennete? Wer Ihn aber stets mehr und mehr erkennt, der wird Ihn auch stets mehr und mehr lieben.
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Doch aber müsset ihr die Liebe zum Herrn nicht platterdings mit der Liebe zu einer vorbeschriebenen Jungfrau völlig vergleichen wollen, sondern ihr müsset sie mehr gleich stellen der reineren Liebe zwischen Kindern und Eltern.
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Diese Liebe aber ist nicht ein gewisser leidenschaftlicher Brand, sondern sie ist ein sanftes Wehen, welches den Menschen in seiner Freiheitssphäre ebensowenig beirrt, als wie wenig die Kinderliebe die Kinder in ihrer Tätigkeit nur im geringsten beirrt. - Sie lieben ihre Eltern sicher außerordentlich stark; natürlich sind hier die guten Kinder zu verstehen. Ja sie wissen oft gar nicht, wie stark sie ihre Eltern lieben.
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Um das Maß solcher Liebe zu erschauen, dürfet ihr nur bei einem leidigen Todesfalle entweder des Vaters oder der Mutter solcher Kinder zugegen sein, so werden euch ihre Tränen und das Ringen ihrer Hände so bald das sehr gewichtige Maß der Liebe der Kinder zu ihren Eltern kundgeben. Und dennoch hättet ihr bei Lebzeiten der Eltern bei aller sorgsamen Betrachtung solche Intensität der Liebe nicht herausgefunden. - Sehet, also verhält es sich auch mit der Liebe zum Herrn. Sie ist, wie gesagt, ein sanftes Wehen, ein hochachtendes Gefühl, voll erhaben zarten Nachklanges, und beirrt niemanden in seiner Freiheitssphäre.
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Nicht mit Leidenschaft drückt sie das Herz des Gottliebenden, sondern mit großer Freudigkeit und genügender lebendiger Speise erfüllt und sättigt sie fortwährend Geist, Herz und Leib des Menschen. Daher brauchet ihr nur in eurem Herzen ,,Vater" zu rufen, und ihr habt genug getan! Und der Vater wird euer Herz allezeit, insoweit es not tut, sättigen und kräftigen mit Seiner Liebe.
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Ihr brauchet nicht einmal ein Bild, sondern nur die Erkenntnis in eurem Herzen von Gott, und ihr habt genug der Liebe, insoweit sie hier not tut, die Wunder zu erhellen, die da sind vor unseren Augen. - Tuet also solches, und schauet dann! -