Die Geistige Sonne
Band 2
Mitteilungen über die geistigen Lebensverhältnisse des Jenseits
- Kapitel 80 -
Über zweierlei Liebe
Es dürften zwar einige sagen: Moses hat sich später darüber näher ausgesprochen, indem er den Zeugungsakt ordnungsmäßig nur zwischen den gesegneten Ehegatten erlaubt, anderartig aber verboten hat, und hat auf die anderartige Zeugung, besonders wenn ein verheirateter Mann mit dem Weibe eines anderen Mannes diesen Akt begehen möchte, verordnet, daß solch eine Tat als Ehebruch zu betrachten sei und die Ehebrecher sich beiderseits des Todes schuldig machen. Solches ist richtig, aber nachträgliche Verordnungen geben dem einfach im Anfange gegebenen Gesetze dennoch keine andere Gestalt. Wer sich daran binden will, muß im ersten Gesetze seinen Prozeß behaupten; denn weder die Unkeuschheit noch der Ehebruch sind darin auf eine bestimmte Art verboten.
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Wir haben bisher klar erläutert, was man allenfalls unter der Unkeuschheit verstehen könnte. Nachdem aber alles das auf den Zeugungsakt hinweist, so kann man auch die von uns bisher als bekannt angenommene Art der Unkeuschheit unmöglich durch dieses Gesetz als verboten ansehen.
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Nun aber meldet sich ein in der Sache Wohlerfahrener, dieser spricht: Unter Unkeuschheit, die da verboten ist, wird bloß die leere Befriedigung des sinnlichen Triebes verstanden. Gut, sage ich; wenn aber ein Mann mit eines anderen Mannes Weibe, die von ihrem Manne nicht befruchtet werden kann, im Ernste ein Kind zeugt, frage, kann ihm das als sündiger Ehebruch angerechnet werden? Ich frage weiter: Wenn ein Jüngling, von seiner Natur getrieben, mit einem Mädchen ein Kind gezeugt hat, kann ihm das zur Sünde der Unkeuschheit angerechnet werden?
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Ich frage weiter: Wenn ein Mann aus der Erfahrung weiß, daß sein Weib nicht befruchtungsfähig ist, er beschläft sie aber dennoch, weil sie ein üppiges Fleisch hat, das ihn reizt, er also doch offenbar seinen sinnlichen Trieb leer befriedigt; kann ihm dieser Akt zur Sünde der Unkeuschheit angerechnet werden?
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Ich frage weiter: Es gibt besonders in dieser Zeit, wie es sie auch zu allen Zeiten gegeben hat, eine Unzahl Menschen beiderlei Geschlechtes, welche gar wohl zeugungsfähig sind und eine sie mächtig drängende Natur besitzen; aber sie sind vermöge politischer und dürftiger Verhältnisse nicht imstande, sich zu verehelichen. Wenn nun solche doppelt bedrängte Menschen den Akt der Zeugung begehen, sündigen sie wider dieses sechste Gebot?
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Man wird sagen: Sie sollen ihren Trieb Gott aufopfern und sich nicht begatten, so werden sie nicht sündigen. Ich aber sage: Welch ein Richter kann solch einen Fehler als eine wirkliche Sünde erklären? Was hat denn der Reiche darum für ein Verdienst, daß er sich ein ordentliches Weib nehmen kann, vor dem Armen, der dieser Glückseligkeit entbehren muß? Soll somit der Bemittelte ein größeres Recht auf die Zeugung seinesgleichen haben als der Arme? Heiligt also das Geld die Zeugung darum, weil sich der Reiche in den ordentlichen Besitz eines Weibes setzen kann, was tausend Unbemittelten unmöglich ist?
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Dazu läßt sich noch fragen: Wer ist denn so ganz eigentlich schuld an der vielfachen Verarmung der Menschen? Sicher niemand anderer als der glückliche Reiche, der durch seine eigennützige Spekulation viele Schätze an sich zieht, durch welche nicht selten tausend Menschen sich für den ordentlichen Ehestand hinreichend befähigen könnten. Und dennoch sollte da der reiche Ehemann allein von der Sünde der Unkeuschheit frei sein, so er mit seinem ordentlichen Weibe Kinder zeugt, und der Arme allein sollte der Sündenbock sein, weil er sich eben kein Weib nehmen kann? Wäre das nicht geradeso geurteilt, als so man auf der Erde irgendeinen Wallfahrtsort bestimmen möchte und dazu ein Gebot gäbe, demzufolge niemand zu Fuß diesen Ort besuchen darf, um dort irgendeine sein sollende Gnade zu empfangen, sondern ein jeder, der diesen Ort besucht und eine Gnade empfangen will, muß in einer höchst eleganten Equipage dahin gefahren kommen?
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Wer ein solches Gebot für gerecht finden sollte, der müßte doch sicher im Ernste von einer solchen Welt sein, von welcher der Schöpfer Himmels und der Erde selbst nichts weiß, das heißt von einer Welt, die nirgends existiert; oder er müßte ein Abgeordneter des Satans sein!
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Wir sehen aber nun aus diesen Betrachtungen, daß es sich mit der Erklärung unseres sechsten Gebotes durchaus nicht tut. Was werden wir denn anfangen, um diesem Gebote einen vollgültigen Sinn abzugewinnen? Ich sage euch im voraus: Es ist die Sache nicht so leicht, als es sich jemand vorstellen möchte. Ja, ich sage:
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Um den richtigen Sinn dieses Gebotes zu gewinnen, muß man ganz tief greifen und die Sache in der Grundwurzel fassen; sonst wird man sich dabei immer in der zweifelhaften Lage befinden, in der man leichtlich das, was nicht im entferntesten Sinne eine Sünde ist, als Sünde betrachten wird, und was wirklich eine Sünde ist, kaum der Mühe wert halten, es als eine Sünde zu betrachten.
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Wo aber ist diese Wurzel? Wir werden sie sogleich haben. Ihr wisset, daß die Liebe der Urgrund und die Grundbedingung aller Dinge ist. Ohne Liebe wäre nie ein Ding erschaffen worden, und ohne die Liebe wäre so wenig irgendein Dasein denkbar, als wie wenig sich je ohne die wechselseitige Anziehungskraft eine Welt nach dem Willen des Schöpfers gebildet hätte. Wer das etwa nicht fassen sollte, der denke sich nur von einer Welt die wechselseitige Anziehungskraft hinweg, und sobald wird er sehen, wie sich alle Atome einer Welt plötzlich voneinander trennen und sich verflüchtigen werden wie ins Nichts.
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Also ist die Liebe der Grund von allem und ist zugleich der Schlüssel zu allen Geheimnissen.
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Wie aber läßt sich eben die Liebe mit unserem sechsten Gebot in eine erklärende Verbindung bringen? Ich sage euch, nichts leichter als das, indem bei keinem Akte in der Welt die Liebe so innig verwoben ist wie gerade bei dem, den wir zu den unkeuschsündigen rechnen.
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Wir wissen aber, daß der Mensch einer zweifachen Liebe fähig ist, nämlich der göttlichen, welche aller Selbstliebe entgegen, und der Selbstliebe, welche aller göttlichen Liebe entgegen ist.
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Nun fragt es sich: So jemand den Akt der Zeugung begeht, welche Liebe war da der Beweggrund, die Eigenliebe, unter deren Botmäßigkeit auch jegliche Genußsucht steht, oder die göttliche Liebe, welche nur mitteilen will, was sie hat, ihrer selbst gänzlich vergessend? Sehet, wir sind jetzt schon ziemlich dem eigentlichen Hauptkerne auf der Spur.
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Setzen wir nun zwei Menschen: der eine begeht den Akt aus selbstsüchtiger Genußsucht, der andere aber in dankbarer Andacht für die Zeugungsfähigkeit, seinen Samen einem Weibe mitzuteilen, um in ihr eine Frucht zu erwecken. Welcher von den beiden hat denn gesündigt? Ich glaube, hier einen Richter zu machen und ein rechtes Urteil zu fällen, wird eben nicht schwer sein.
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Damit uns aber die Sache völlig klar wird, müssen wir uns auch mit dem Begriffe ,,Unkeuschheit" näher vertraut machen. Was ist Keuschheit und was ist Unkeuschheit? Keuschheit ist derjenige Gemütszustand des Menschen, in welchem er aller Selbstsucht ledig ist, oder in dem er rein ist von allen Makeln der Eigenliebe. Unkeuschheit ist derjenige Gemütszustand, in welchem der Mensch nur sich selbst berücksichtigt, für sich selbst handelt und seines Nebenmenschen, besonders in Berücksichtigung des Weibes, gänzlich vergißt.
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Die Selbstsucht aber ist nirgends schmählicher, als wie gerade bei dem Akte, wo es sich um die Fortzeugung eines Menschen handelt. Warum denn? Die Ursache liegt am Tage. Wie der Grund, wie der Same, so auch wird die Frucht. Ist göttliche Liebe, also die Keuschheit der Same, so wird auch eine göttliche Frucht zum Vorschein kommen; ist aber Eigenliebe, Selbstund Genußsucht, also der unkeusche Zustand des Gemütes der Same, welch eine Frucht wird da hervorgehen?
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Sehet, in dem liegt es, was durch das sechste Gebot verboten ist. Wäre dieses Gebot beobachtet worden, so wäre die Erde noch ein Himmel, denn es gäbe auf ihr keinen selbstsüchtigen und herrschsüchtigen Menschen! Aber dieses Gebot ist schon im Anbeginne der Menschen übertreten worden, und die Frucht dieser Übertretung war der eigennützige und selbstsüchtige Kain.
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Aus dem aber geht hervor, daß nicht nur die sogenannte fälschlich bezeichnete ,,Unzucht", welche man besser ,,Genußsucht" nennen sollte, in die Reihe unserer zu behandelnden Sünde gehört, sondern jegliche Genußsucht, wie gestaltet sie auch immer sein mag, besonders aber, wenn ein Mann das ohnehin schwache Weib sich eigennützig zum genußsüchtigen Nutzen macht, ist als Sünde der Unkeuschheit zu betrachten. - Ein kurzer Verfolg wird uns die Sache noch klarer vor die Augen bringen. -