Die Geistige Sonne
Band 2
Mitteilungen über die geistigen Lebensverhältnisse des Jenseits
- Kapitel 9 -
Verschiedenheit der Sphäre jedes seligen Geistes. Grund - gegenseitige Unentbehrlichkeit
Nun frage Ich, euer Hauptführer, euch wieder: Wie hat es euch behagt in der Sphäre dieses Meines Bruders? Ich sehe in euch die Antwort mit gar vielen Buchstaben geschrieben, und diese Antwort lautet: O Herr, Du allerliebevollster, heiligster Vater! In der Sphäre dieses Geistes haben wir ja doch Dinge geschaut, die von so außerordentlicher und wichtiger Art waren, daß wir uns darüber gar nicht auszusprechen vermögen. Haben wir auch nicht alles gesehen, wie Deine Wege überall beschaffen sind, so haben wir aber dennoch einen so triftigen allgemeinen Überblick bekommen, wie Deine unendliche Liebe und Weisheit die verirrten Schafe sucht und findet, daß wir demnach füglich behaupten möchten, wir sind in der Sphäre dieses Geistes auf den Hauptpunkt einer allgemeinen Übersicht geführt worden, von welchem aus wir alle die Geisterwelt von der unvollkommensten bis zur allervollkommensten Sphäre haben kennengelernt, wofür wir Dir ewig nie genug werden danken können. Ja, es kommt uns nun also vor, als könnte man das Wesen des geistigen Reiches unmöglich mehr triftiger durchgehen in der Kürze der Zeit, bezüglich des umfassenden Anblickes und der Erfahrung, als wir in der Sphäre, dieses Brudergeistes aus Dir es geschaut haben. -
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Ja, Meine lieben Kinder, solches ist sicher, richtig und wahr; ihr habt die Verhältnisse im vollen Lichte der Wahrheit geschaut. Aber dessen ungeachtet mache ich euch auf Mein schon vor eurem Eintritte in die geistigen Sphären bekanntgemachtes Diorama aufmerksam, und demzufolge sage Ich euch, daß sich die Dinge in der Geisterwelt in der Sphäre eines jeden einzelnen seligen Geistes wieder ganz anders gestalten, und sind dann in dieser anderen Gestaltung wieder ebenso gut und wahr wie in der Sphäre eines früheren Geistes. - Solches muß auch im allervollkommensten Reiche der Engel stattfinden; sonst wäre ja ein Geist dem andern entbehrlich, und keiner würde dem andern können eine neue übergroße Seligkeit bereiten. Da aber ein jeder Geist dann etwas Besonderes hat und Ich es einem jeden zulasse, daß sich das Seinige gestalte nach seiner Art, so hat dann auch die selige Freude eines Engels an der Seligkeit eines anderen ewig nimmer ein Ende! Damit ihr aber solches so recht tüchtig einsehen und begreifen möget, so will Ich euch solches noch zuvor durch einige anschauliche Beispiele erhellen, bevor ihr euch wieder in die Sphäre eines zehnten Geistes begebet.
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Nehmet an, es wären in einem großen Saale hundert wirklich tief gelehrte Männer. Diesen Männern würde ein sehr denkwürdiger Stoff, z.B. über die Strahlenberechnung des Lichtes, zur Bearbeitung gegeben. Unter diesen hundert Gelehrten aber sind nicht alle Gelehrte vom gleichen Fache, sondern der eine ist ein berühmter Rechenmeister, der andere ein Philosoph, ein Naturforscher, ein Astronom, ein Botaniker, ein Zoolog, ein Mineralog, und wieder andere ein Geognost, ein tüchtiger Optiker, ein Geograph. Andere wieder wären ein Geschichtsforscher, ein Archäolog, ein Dichter, ein Philolog, ein Psycholog, ein Anthropolog, ein Arzt, ein anderer wieder ein Physiolog, der ein Mystiker, der andere ein Theosoph und so fort durch alle Stufen menschlicher Gelehrtheit. Alle diese hundert Gelehrten haben sicher die schriftstellerische Eigenschaft, ihre Gedanken über das aufgegebene Thema wohlabgesondertermaßen zu Papier zu bringen.
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Wenn aber nun alle diese hundert Gelehrten mit der Arbeit fertig sein werden, da nehmet dann eines jeden Arbeit zur Hand und leset seine aufgezeichneten Gedanken oder das bearbeitete Thema, und ihr könnet vollends versichert sein, es werden nicht zwei darunter sich vorfinden, die dieses Thema auf eine und dieselbe Art bearbeitet hätten. Ganz anders wird sich der Mathematiker, ganz anders der Dichter, ganz anders der Mystiker und ganz anders, wie gesagt, ein jeder gegen den andern ausdrücken, und wenn ihr recht aufmerksam die Ausarbeitungen durchgehet, so wird sich in eines jeden Ausarbeitung sein Steckenpferd gar leicht erkennen lassen.
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Wenn ihr aber dann gefragt würdet um das Urteil, welcher aus all diesen hundert Gelehrten das Thema der Wahrheit am angemessensten bearbeitet habe, so werdet ihr nichts anderes sagen können als: Wir finden, daß da ein jeder für sich den Nagel auf den Kopf getroffen hat. Da ist keinem in seiner Art etwas einzuwenden, es hat ein jeder recht. In der Hauptsache stimmen sie alle überein, nur die Art der Darstellung ist nach der Liebe des Darstellers verschieden.
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Gut, sage Ich euch. Sehet, wie die Gedanken über einen und denselben Gegenstand von vielen Menschen verschieden sind, also sind auch die Sphären der Engelsgeister verschieden; aber im Grunde des Grundes gehen sie doch alle auf eine und dieselbe Wahrheit hinaus. Um die Sache aber noch anschaulicher zu machen, nehmen wir ein anderes Beispiel:
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Es wäre über einen Psalm Davids eine gute Musik zu setzen. Ein König eines Landes setzt einen großen Preis auf die bestmusikalische Bearbeitung dieser Aufgabe, und sobald machen sich an allen Orten die tüchtigsten Musiker an die Arbeit. Nach abgelaufener Frist werden die Kompositionen eingesandt; es sind vierzig Exemplare da. Der König als ein großer Liebhaber solcher klassischen Musik läßt nacheinander von Tag zu Tag eine Komposition um die andere aufführen. Gehet aber hin in diese Aufführungen und höret sie an. Und wenn ihr sie alle werdet angehört haben, wie wird da euer Urteil lauten, nachdem sie von lauter allertüchtigsten Komponisten bearbeitet sind?
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Ihr werdet sicher sagen: Fürwahr, da ist in seiner Art eine Arbeit so tüchtig und wunderschön wie die andere; aus einer jeden läßt sich der große Meister erkennen. Aber wie verschieden die Auffassung, wie verschieden die angebrachte musikalische Rhythmik, wie verschieden die Grundtonarten, wie verschieden die Instrumentierung und die Verteilung des Gesanges, wie verschieden die Melodien, wie verschieden die Begleitungen derselben! In einer jeden ganz andere Bindungen und ganz andere Lösungen!
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Gut, sage Ich euch; saget Mir aber nun auch, welche Komposition - bei der natürlich bestmöglichsten Aufführung - euch am meisten wohlgefiel. - Da werdet ihr im Grunde des Grundes nichts anderes sagen können als: Eine jede dieser Kompositionen hat uns in ihrer Art überaus wohl gefallen; dennoch aber waren einige darunter, die uns gewisserart mehr befreundend vorkamen denn manche andere.
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Wieder gut, sage Ich euch; was das ,,mehr befreundend" betrifft, das liegt in der Annäherung der Sphäre des Komponisten an die eure. An und für sich aber ist jede Komposition voll Leben, Geist und Wahrheit.
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Die welche wird aber dann den Vorrangpreis bekommen? Ich sage euch: Wenn der geistreiche König Mir gleich gerecht sein will, so wird er seinen Beutel über die bestimmte Prämie hinaus öffnen müssen und einem jeden die ausgesprochene Prämie zukommen lassen.
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Aus dem aber könnet ihr nun schon sehr bedeutend klar entnehmen, daß die Sphären der Engelsgeister sich ebenso, nur natürlich in hellst beschaulicher Erscheinlichkeit, gestalten müssen, wie uns dieses zweite Beispiel gar klar gezeigt hat. Überall ist Wahrheit; aber weil nach dem verschiedenen Grade der Liebe auch das formende Licht verschieden ist, so sind auch die Formen anders, aber dennoch immer also gestellt, daß sie einer und derselben Grundwahrheit völlig entsprechen.
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Damit ihr aber nicht denket, als ließe sich dergleichen nur in diesen zwei gegebenen Beispielen erschauen, so will Ich euch zufolge Meiner sehr erfinderischen Eigenschaft noch einige andere auftischen. Nehmen wir an: Von zehn großen Malern sollte eine Morgenlandschaft geliefert werden. Die Landschaftsbilder sind fertig und geliefert. Gehet hin und betrachtet sie, es ist eine schöner und wahrer als die andere. Eine jede drückt auffallend eine Morgengegend aus; aber keine sieht der andern auch nur in einem Punkte gleich.
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Sehet, das kommt daher, weil ein jeder Geist seine eigene von Mir aus wunderbarst gestellte Sphäre hat, durch welche er sich selbst und allen seinen Brüdern die größte Wonne und Seligkeit bereiten kann. Dazu ist noch eines jeden Geistes Sphäre unendlich, und in ihrer Art ewig unerschöpflich an den allermannigfaltigsten Wundergestaltungen. Aber so endlos wunderbarst mannigfaltig die Gestaltungen in der Sphäre eines Engelsgeistes auch sind und ihr bei der Betrachtung der einen offenbar sagen müsset: Über diese unendlich wundervolle Mannigfaltigkeit läßt sich kein weiterer Gedanke mehr fassen! da sage Ich euch: geht nur geschwinde in die Sphäre eines andern über und euer Urteil wird gleich anders lauten und ihr werdet da sagen: Ja, was ist denn das? Da sind ja schon wieder ganz unerhört andere Formen! Und Ich sage euch dazu: Also ist es der Fall mit dem geistigen Diorama. Das äußere Fensterchen ist gleich; aber nur hineingeguckt und überall eine andere Welt!
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Ich habe aber noch ein Beispiel vorrätig: Wenn ihr in der Schrift alle die Propheten, dann die Evangelisten wie auch die Briefe des Paulus, die noch anderer Apostel und Jünger und am Ende noch die Offenbarung Johannis durchgehet, da werdet ihr doch offenbar sagen müssen: Da schreibt doch ein jeder eine andere Sprache, bedient sich anderer Bilder und bearbeitet einen ganz anderen Stoff; selbst die vier Evangelisten stimmen sogar bei den geschichtlichen Tatsachen nicht miteinander überein. Der Paulus predigt in seinen Briefen weder ein noch das andere Evangelium; und die Offenbarung Johannis ist an und für sich schon in so wunderliche Bilder eingehüllt, daß man daraus nie völlig klug werden kann.
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Nun frage Ich aber, weil in gewisser Hinsicht ein jeder anders geschrieben hat: Welcher hat denn dann recht geschrieben? Die Antwort kann darauf wohl unmöglich eine andere sein als diese: Ein jeder schreibt eine und dieselbe Wahrheit, ein jeder predigt Mich, ein jeder gebietet die Liebe, die Demut, Sanftmut und Geduld. Von Tatsachen sind von jedem ganz dieselben erzählt; wer sie im gerechten geistigen Lichte auffaßt, der wird darin die wunderbarste Übereinstimmung finden. Wenn ihr die verschiedenen Verse zusammenstellet aus allen Propheten und Evangelisten, so werden sie sein, im wahren Lichte betrachtet, wie Früchte eines und desselben Baumes.
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Nun sehet, eben also auch wieder verhält es sich mit den Sphären der vollkommenen Geister. Ich könnte euch noch eine Menge Beispiele geben; aber vorderhand genügen diese.
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Da an Meiner Seite aber steht schon derjenige Geist, in dessen Sphäre ihr alles dieses tatsächlich erschauen und am Ende sagen werdet: Fürwahr, ganz anders waren die Dinge in dieses Geistes Sphäre gestaltet; aber im Grunde des Grundes laufen sie dennoch auf eines hinaus und zeigen, daß der Herr alles in allem, also überall die ewige und unendliche Liebe und Weisheit Selbst ist.
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Da ihr denn nun solches im voraus wisset, so begebet ihr euch in die Sphäre dieses zehnten Geistes, und habet da auf alles abermals sehr wohl acht. Amen. -