Die Geistige Sonne
Band 2
Mitteilungen über die geistigen Lebensverhältnisse des Jenseits
- Kapitel 96 -
Grund des Verdecktseins des eigentlichen Sinnes des 10. Gebotes
Es werden hier so manche, die das Vorhergehende gelesen haben, sagen: Darauf sind wir im Ernste sehr neugierig, was dieses Gebot für einen eigentlichen beständigen Sinn hat, nachdem jeder Sinn, den wir ehedem diesem Gebote beigelegt haben, unwiderlegbar ins unsinnigst Lächerliche gezogen und dargestellt wurde. Wir möchten im Ernste schon sehr gern erfahren, wer demnach der Du, der Nächste und dessen Weib ist? Denn aus dem Gebote läßt sich mit Bestimmtheit nichts aufstellen. Der Du kann wohl jedermann sein, ob aber darunter auch ein Weib verstanden sein kann, das steht noch in weitem Felde. Der Nächste ließe sich wohl allenfalls etwas näher bestimmen, besonders wenn man dieses Wort in einem umfassenderen Sinne nimmt, wodurch dann jedermann unser Nächster ist, der irgend unserer Hilfe bedarf. Mit dem Weibe aber hat es sicherlich den größten Anstand; denn man weiß nicht, wird darunter nur ein verheiratetes Weib oder auch das ledige weibliche Geschlecht verstanden. Es ist hier freilich mehr in der einfachen als in der vielfachen Zahl; aber das macht die Sache eben auch um kein Haar bestimmter. Denn wenn man in irgendeinem Erdteile die Polygamie annimmt, so hätte es da mit der einfachen Zahl offenbar wieder einen neuen Haken. Aus allem diesem sind wir um so neugieriger auf den eigentlichen Sinn dieses Gebotes, indem der Buchstabensinn allenthalben ganz gewaltig unstichhaltig ist.
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Und ich sage hinzu: Also ist es bestimmt und klar, daß sich mit der Annahme des puren äußeren Buchstabensinnes nur der größte Unsinn, nie aber irgendeine gegründete Wahrheit darstellen läßt.
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Man wird hier freilich sagen: Ja warum hat denn der Herr das Gesetz nicht sogleich also gegeben, daß es für jedermann nicht verdeckt, sondern ganz offen erschien, in was für einem Sinne es eigentlich gegeben und wie es nach eben diesem Sinne zu beobachten ist?
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Diese Einwendung läßt sich dem außen nach wohl hören und gilt als eine ziemlich weise gestaltete Gegenphrase; aber beim Lichte betrachtet ist sie so dumm, daß man sich nicht leichtlich etwas Dümmeres vorstellen kann. Damit aber die außerordentliche Albernheit dieser Einwendung einem jeden gleich so in die Augen fällt, als stünde er nur wenige Meilen von der Sonne entfernt und würde diese plötzlich mit seinen Augen wahrnehmen - oder damit es einem dabei wird, wie dem, der in einem Walde den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht, so will ich für diese Gelegenheit einige natürliche, ganz kurz gefaßte Betrachtungen aufstellen.
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Nehmen wir an, einem sogenannten Naturforscher und Botaniker möchte es der Bequemlichkeit seiner Untersuchung wegen einfallen zu fragen: Warum hat denn die schöpfende Kraft des schaffenden allerhöchsten Wesens die Bäume und Pflanzen nicht so erschaffen, daß der Kern auswendig und die Rinde inwendig ist, so daß man mit leichter Mühe durch Mikroskope das Aufsteigen des Saftes in die Äste und Zweige und dessen Reaktionen und andere Wirkungen genau beobachten könnte? Denn es kann doch nicht des Schöpfers Absicht gewesen sein, den denkenden Menschen sogestaltet auf die Erde zu setzen, daß er nie in das Geheimnis der Wunderwirkungen in der Natur eindringen sollte. - Was sagt ihr zu diesem Verlangen? Ist es nicht im höchsten Grade dumm?
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Nehmen wir aber an, der Herr möchte Sich von einer solchen Aufforderung bestechen lassen und die Bäume also umkehren samt den Pflanzen - werden da nicht gleich wieder andere Naturforscher hinzukommen und sagen: Was nützt uns die Betrachtung des auswendigen Kerns, wenn wir dabei nicht die wunderbare Bildung der inneren Rinde entdecken können? - Was folgt nun hieraus? Der Herr müßte Sich auch jetzt wieder fügen und auf eine mir fürwahr nicht begreifliche Art Rinde und Kern auswendig am Baume anbringen. Nehmen wir aber an, der Herr hätte solches im Ernste zuwege gebracht und das Inwendige des Baumes besteht nun bloß im Holze. Wird da nicht ein anderer Naturforscher sobald ein neues Bedürfnis kundgeben und sagen: Durch die Rinde und auf einer Seite durch den Kern ist nun die ganze wunderbare Bildung des Holzes verdeckt. Könnte denn ein Baum nicht so gestaltet sein, daß alles, Kern, Holz und Rinde auswendig wäre oder wenigstens so durchsichtig wie die Luft?
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Ob man einen aus notwendig zahllos vielen Organen zusammengefügten Baum so durchsichtig wie die Luft oder wenigstens wie ein reines Wasser gestalten kann, das sollen Optiker und Mathematiker entscheiden. Was aber übrigens auf vollkommen luftigen Bäumen für Früchte wachsen werden, das dürfte einer ungefähr in den Gegenden des Nordpols oder Südpols in gute Erfahrung bringen. Denn dort geschehen manchmal solche Phänomene, daß zufolge der großen Kälte, auf die Weise wie bei euch im Winter auf den Glasfenstern, dort aber in der Luft kristallinische Eisbäume aufschießen. Ob auf diesen Bäumen auch Feigen und Datteln zum Vorscheine kommen, ist bis jetzt noch nicht ermittelt worden.
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Was aber andererseits die Bäume betrifft, wo alles, Kern, Holz und Rinde, auswendig sein sollte, so könnet ihr dessen vollkommen versichert sein, daß es ebensoleicht wäre, eine viereckige Kugel zu machen als einen solchen Baum. Ich meine, durch diese Betrachtung sollte die Dummheit obiger Einwendung schon so ziemlich sonnenhaft vor den Augen liegen. Aber um die Sache, wie gewöhnlich, wahrhaft überflüssig klar zu machen, wollen wir noch ein paar Betrachtungen hinzufügen.
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Nehmen wir an, wenn ein Arzt, der sehr viel studieren muß und schon einen ganzen schweren Wagen voll Gelehrsamkeit gleich einem Polypen in sich eingeschlürft hat, zu einem bedenklich kranken Patienten verlangt wird, so steht er nicht selten am Krankenlager, wie ein Paar neueingespannte Ochsen an einem steilen Berge. Der Arzt wird von den Umstehenden gefragt: Wie finden Sie den Kranken, was fehlt ihm denn? Wird ihm wohl zu helfen sein?
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Ob dieser Fragen macht der Arzt ein zwar gelehrtes, aber dennoch sehr bedenklich verlegenes Gesicht und spricht: Meine Lieben! Jetzt läßt sich noch nichts bestimmen, ich muß erst durch eine Medizin die Krankheit prüfen. Werden sich da Reaktionen so oder so ergeben, so werde ich schon wissen, wie ich daran bin. Treten aber hier keine Reaktionen auf, da müßt ihr selbst einsehen, daß unsereiner in den Leib nicht hineinschauen kann, um den Sitz der Krankheit nebst ihrer Beschaffenheit ausfindig zu machen.
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Da spricht aber jemand etwas lakonisch: Herr Arzt, da hätte unser Herrgott wohl besser getan, wenn er den Menschen entweder so erschaffen hätte wie der Schreiner einen Schrank, den man aufsperren und hineinsehen kann, was darinnen ist. Oder der Schöpfer hätte sollen bei dem Menschen die heikleren Teile, zu denen man auf diese Weise so schwer gelangen kann, gleich den Fingern, Ohren, Augen und Nase außerhalb stellen, damit man diesem Teil sogleich leicht entweder mit einem Pflaster, mit einer Salbe oder mit einem Umschlage zu Hilfe kommen könnte. Am besten aber wäre es offenbar, Er hätte entweder den Menschen durchsichtig wie das Wasser erschaffen oder Er hätte ihn überhaupt nicht aus so lebensgefährlichen Teilen zusammen setzen und ihn überhaupt mehr wie einen Stein gestalten sollen.
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Der Arzt rümpft hier etwas die Nase, spricht aber dennoch: Ja, mein lieber Freund, das wäre freilich gut und besser, aber es ist einmal nicht so, wie du soeben den Wunsch geäußert hast. So müssen wir uns schon damit zufriedenstellen, wenn wir nur auf dem Wege der Erfahrungen etwas genauer auf den inneren Gesundheits- und Krankheitszustand eines Menschen zu schließen imstande sind. Denn wäre der Mensch auch wie ein Kasten aufzumachen, so wäre das für jeden Menschen noch um vieles lebensgefährlicher, als es so ist, denn nur ein ein wenig ungeschickter Griff in das Innere könnte plötzlich das Leben kosten. Und könnte man auch durch ein solches Öffnen die Eingeweide beschauen, so würde einem das noch sehr wenig nützen. Die Eingeweide und ihre feinen Organe müßten doch verschlossen bleiben, nachdem bei der Öffnung auf der Stelle alle Lebenssäfte und jede Lebenstätigkeit flott würden. Was aber die auswendige Stellung der inwendigen Leibesteile betrifft, fürwahr, mein Lieber, das gäbe der menschlichen Gestalt einen höchst unästhetischen Anblick. Und wenn der Mensch erst völlig durchsichtig wäre, so würde sich ein jeder gegenseitig vor dem andern erschrecken, denn er würde da den Hautmenschen, dann den Muskelmenschen, den Gefäßmenschen, den Nervenmenschen und endlich den Knochenmenschen zu gleicher Zeit erschauen. Daß ein solcher Anblick nicht einladend wäre, das kannst du dir wohl von selbst einbilden.
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Ich meine, bei dieser Betrachtung wird einem das Törichte der obigen Einwendung noch klarer in die Augen springen.
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Aber es ist noch jemand, der da spricht: Es ist bei natürlichen, materiellen Dingen freilich widersinnig zu denken, daß ihr Inwendiges auch zugleich ihr Äußeres ausmachen sollte. Aber das Wort für sich ist ja doch weder ein Baum, noch ein Tier, noch ein Mensch, sondern es ist schon an und für sich geistig, indem es nichts Materielles an sich trägt. Warum sollte das hernach gleich einem Baume oder Menschen noch irgendeinen unbegreiflichen inneren Sinn haben? Oder wie sollte dieser möglich sein, wenn man die ohnehin außerordentliche Einfachheit und Flachheit des Wortes betrachtet?
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Gut, sage ich, nehmen wir das Wort Vater. Was bezeichnet es? Ist das Wort schon der Vater selbst oder bezeichnet das Wort einen wirklich wesenhaften Vater, von dem dieses Wort eben bloß ein äußerer Merkmalstypus ist? Man wird sagen: Offenbar ist hier das Wort nicht der Vater selbst, sondern nur eine äußere Bezeichnung dessen. Gut, sage ich, frage aber dabei: Was muß man dann alles unter dem Worte verstehen, auf daß man eben dieses Wort als einen äußeren richtig bezeichnenden Typus anerkennt? Antwort: Das Wort muß einen Menschen darstellen, der ein entsprechendes Alter hat, verheiratet ist, mit seinem Weibe lebendige Kinder erzeugt hat und dieselben dann wahrhaft väterlich leiblich und geistig versorgt.
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Wer kann hier nur im geringsten in Abrede stellen, daß diese ziemlich gedehnte und überaus wesentliche Bedeutung im einfachen Worte ,,Vater" stecken muß, ohne welche dieses Wort gar kein Wort wäre?
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Wenn aber schon in äußeren Beziehungen ein jedes einfache Wort eine mehr inwendige Erklärung und Zergliederung zulassen muß, um wie viel mehr muß demnach ein jedes äußere Wort auch einen inwendigen geistigen Sinn haben, indem doch alles, was durch äußere Worte bezeichnet wird, selbst ein inwendiges Geistiges, also Kraftvolles und Wirkendes haben muß. Ein Vater hat sicher auch Seele und Geist. Wird das Wort den Begriff ,,Vater" wohl richtig bezeichnen, wenn es sein Seelisches und Geistiges ausschließt? Sicher nicht, denn der wesenhafte Vater besteht aus Leib, Seele und Geist, also aus Auswendigem, Innerem und Inwendigstem. Wenn sonach der wesenhafte Vater lebendig also beschaffen ist, muß solches dann nicht auch wie in einem Spiegel im Worte, durch das der wesenhafte Vater als Vater bezeichnet wird, ebensogut vollkommen bezeichnend zugrunde liegen?
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Ich meine, deutlicher und klarer läßt sich ein notwendiger innerer Sinn des Wortes nicht darstellen. Daraus aber kann auch ersichtlich sein, daß der Herr, so Er auf der Welt Seinen Willen kundgibt, Er ihn für äußere Menschen nach Seiner ewigen göttlichen Ordnung nicht anders kundgeben kann, als eben nur durch äußere, bildliche Darstellungen, in denen dann offenbar ein innerer und ein innerster Sinn zugrunde liegt. Dadurch ist dann der ganze Mensch von seinem Inwendigsten bis zu seinem Äußersten nach der göttlichen Liebe versorgt.
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Da wir aber nun die Notwendigkeit und die Gewißheit solcher Einrichtung mehr als handgreiflich dargetan haben, so wird es nun auch ein gar Leichtes sein, den inneren, wahren Sinn unseres Gesetzes beinahe von selbst zu finden, und so er von mir dargestellt wird, wenigstens als den unumstößlichen, einzig wahren und allgemein geltenden zu erkennen. - Und so gehen wir sogleich zu solcher Darstellung über! -