Das Grosse Evangelium Johannes: Band 3
Lehren und Taten Jesu während Seiner drei Lehramts-Jahre
Jesus in der Gegend von Cäsarea Philippi
- Kapitel 176 -
Das Schicksal der göttlichen Lehre
Spricht Kornelius: ,,Ja, Herr, was Du geredet, ist eine Wahrheitsfülle, die nach dem Maßstabe des reinen Menschenlebens aber wohl auch noch nie dagewesen ist; denn wäre sie je irgend ausgesprochen worden und je dagewesen, so würden sicher einige Menschen sie als das, was sie ist, aufgegriffen und streng danach gelebt haben, und die Wirkung davon wäre sicher nicht unterm Wege verblieben.
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Aber sie ist meines doch vielumfassenden Wissens nie dagewesen, sondern bei uns Heiden gerade das Gegenteil; und es sind daher ein Sokrates, ein Plato, ein Plotin und ein Phrygius als große Geister tief zu bewundern, sowie mehrere große Männer Roms, die es bloß durch eine überheroische Mühe und Anstrengung, den Gesetzen der Vielgötterei schnurstracks entgegen, dennoch dahin gebracht haben, Dir, dem einen und allein wahren Gott, so ganz tüchtig auf die Spur gekommen zu sein.
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Plato fand es, daß der einige und allein wahre, wennschon unbekannte Gott die reinste Liebe sein muß. Je mehr er über den unbekannten Gott nachdachte, desto wärmer ward es in seinem Herzen; und als er fand, daß diese wohltuende Wärme wuchs und ein Arzt ihm sagte, daß dies eine Krankheit wäre, da lachte Plato und sagte: ,Wenn das eine Krankheit ist, dann wünsche ich mir nur noch mehr solcher Krankheit in mein Herz; denn sie tut mir unvergleichbar wohler denn jede noch so hoch gepriesene Gesundheit!`
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Und Plato liebte den Unbekannten stets mehr und mehr und erzählte selbst, wie er in den höchsten Momenten seiner Liebe zu dem unbekannten Gott eben diesen Gott, als wie mit Ihm völlig vereint, geschaut und welch eine unbeschreibliche Wonne er dabei empfunden habe.
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Ähnliches erzählen auch die andern großen Weisen; ihre Lehre wäre den Menschen gewiß sehr heilsam geworden, so sich ihrer Verbreitung die bekannten Diener der Götter nicht mit allen möglichen Scheußlichkeiten entgegengestellt hätten.
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Aber es war allzeit also, und es wird auch wahrscheinlich noch fortan also bleiben, daß die reine Wahrheit darum noch nie den allgemeinen Platz finden konnte, weil mit der Zeit ihre nächsten Diener, von höchst gemeinen Interessen geleitet, ihr selbst in den Weg traten, sie in ein Labyrinth stellten und den anfänglichen, stets geraden und offenen Weg in tausend und abermals tausend Krümmungen bogen, die, mit finsterem Mauerwerk umgeben und umfaßt, den Sucher nimmer das Zentrum, wo der Wahrheit alter Tempel stand, finden ließen.
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Herr, auch Deiner Lehre wird es dereinst um nichts besser ergehen, wie sich nur ein Priester in ihr hervortun wird! Lehrer müssen wohl sein, aber unter zehn ist sicher ein räudiger, und der steckt nur zu bald die andern an, und mit der Wahrheit hat es dann schon einen Haken!
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Moses, der Weiseste aus Kahiro, der in alles eingeweihte Ziehsohn der Tochter Pharaos, schrieb die göttliche Wahrheit auf marmorne Tafeln und gebot voll Gotteskraft bei allen härtesten Strafen, nur das dem Volke zu verkünden und es anzuhalten, nach solcher Lehre zu leben und zu handeln; es sind seit ihm noch kaum tausend Jahre verronnen, und wie sieht nun die heilige Lehre der Marmortafeln aus?! Außer dem Namen keine eitle Spur mehr davon! Wo ist die alte Bundeslade, die wunderbare, die Furcht und Leben erregende? Wo die Urtafeln, die Moses mit eigener Hand geschrieben wie für eine Ewigkeit? Sieh, alles haben Mosis Nachfolger rein vertilgt, bloß ihrer schnöden Weltinteressen wegen!
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Darum sage ich, ohne nur irgendein Prophet zu sein: Wie es allzeit war, also ist es noch und wird auch allzeit also sein, wenn Du, o Herr, Deine Lehre in die Hände der Menschen zur Verwaltung legen wirst. In tausend Jahren wird es mit ihr sicher ganz verzweifelt schief aussehen, und die Menschen werden in ihr nach Art des Diogenes die Wahrheit am hellsten Tage suchen dürfen und dennoch keine völlig finden.
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Ah, es wird sich die volle Wahrheit wohl sehr im verborgenen bei einzelnen erhalten; aber fürs Allgemeine wird nichts Weiteres mehr dasein, als was an die Kinder Abrahams in dieser Zeit von Moses übriggeblieben ist, nämlich Schale und leere Namen! Wer versteht vom Geiste der Mosaischen Satzungen irgend mehr etwas?
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Darum sage ich und bleibe dabei: Die Menschen waren stets also und werden mit kleinen Unterschieden auch also bleiben.
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Etwas Neues wird sie stets neugierig und angeregt machen; wie sich aber die Menschen nur ein wenig daran gewöhnt haben, dann wird ihnen auch bald das Erhabenste alltäglich, wertloser und gleichgültig! Soll es für sie noch irgend etwas Anregendes haben, so muß es zum öfteren mit allerlei Seltenheiten aufgefrischt werden, und es muß darin irgendein der Hauptsache freilich nie schaden könnender Wechsel vorkommen, sonst fängt die Menschheit von neuem an, unter unausgesetzten Blitzen und Donnern, aus purer Langeweile goldene Kälber zu formen und um sie einen lustigen Tanz zu halten.
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Ja, es sind danach sogar manche Priester sehr zu entschuldigen, daß sie dem Volke anstatt der echten Ware den elendsten Flitter als etwas rein Göttliches verkaufen; denn ist der Strom der Finsternis einmal aus sich selbst heraus zu mächtig geworden, da ist auch ein Schwimmen gegen denselben zur Unmöglichkeit geworden, und der bestwillige Priester, wenn er für sich ganz im stillen auch irgendein rechtes Wahrheitslichtlein besitzt, muß mit dem Strome schwimmen, sonst geht er ohne weiteres unter!
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Herr! So alt die Menschheit auf dieser Erde ist, war dies Übel unverrückbar ihr steter Geleitsmann, was durchaus nie und nimmer geleugnet werden kann; wäre denn die Menschheit von diesem alten Übel nicht und nimmer total und radikal zu heilen? Denn ich sehe keinen Grund ein, warum die Menschheit darin stets und von neuem verschmachten und zugrunde gehen soll!"