Das Grosse Evangelium Johannes: Band 4
Lehren und Taten Jesu während Seiner drei Lehramts-Jahre
Jesus in der Gegend von Cäsarea Philippi
- Kapitel 155 -
Das Schlangengift als Heilmittel
1
(Mathael:) ,,Als ich, ganz in mich vertieft, dastand, vernahm ich, als hätte mir jemand ins Ohr geraunt: ,Fanget eine Klapper- und eine Ringelschlange, schlaget ihnen die Köpfe ab, kochet sie gut ab und gebet der Witwe solch eine Suppe oder Brühe zu trinken, und zeiget ihr, daß das Gericht, das sie unendlich fürchtet, durchaus nichts wider sie haben kann, so wird sie gleich wieder die Gesundheit erlangen! So aber jemand in der Folge von ihr durch ihren giftigen Hauch zu siechen anfinge, der sehe, daß er eine Brühe von den benannten Schlangen bekomme, mit der auch der alte Äskulap seine Abzehrenden heilte, und er wird alsbald vollends genesen! Die bezeichneten Schlangen aber bekommt man sehr häufig am südlichen Abhange des Horeb.`
2
Diesen Rat, den ich ganz deutlich vernahm, teilte ich kurz und gleich meinem Vater mit. Er, darüber ganz außer sich vor Freuden, sagte sogleich zur Witwe, daß sie sehr getrost sein solle; denn er werde ihr ganz sicher helfen. Vor allem aber habe sie das Gericht wegen des griechischen Arztes nicht im geringsten zu scheuen, da sie an seinem Tode nicht die entfernteste Schuld trage. Er selbst kenne überaus wohl Roms Gesetze und wisse nichts, daß solch ein Fall je irgend für eine taugete.
3
Die ganz ernste Darstellung der Unschuld der Witwe beruhigte die Arme so sehr, daß der Blaudunst über ihr ganz verschwand, was ich dem Vater sogleich anzeigte, worüber er viel Freude empfand, und er sandte sogleich nach Horeb um die bewußten Schlangen. Dort befanden sich etliche der bekannten Schlangenfänger und -banner, und es wurden in ein paar Tagen mehrere Stücke beiderlei Gattungen herbeigeschafft, aber natürlich schon enthauptet und in Lehm gut eingemacht, auf daß sie, von der Luft gut abgesperrt, nicht sogleich in die Verwesung übergehen konnten; denn es gab dort eine Art fetten, gelben Lehms, in welchem ein Leichnam hundert Jahre lang nicht verwest.
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Als die Schlangen auf einem Kamele überbracht waren, wurden sie, soviel man von ihnen auf einmal brauchte, vom Lehm gereinigt und darauf in einem guten Topfe aufs Feuer gestellt und bei drei Stunden lang gesotten, ohne daß die das Bett hütende Witwe davon irgendeine Kunde erhielt. Die Zeit von der Sendung um die Medizin nach Horeb dauerte bis zur Kocherei vier Tage, während welcher Zeit mein Vater die Witwe des Tages zu öfteren Malen tröstete und ihr die vollste Genesung schon in fünf Tagen verhieß. Darüber erholte sich die Witwe von Tag zu Tag sichtlich mehr und hatte am vierten Tage das Bett schon verlassen wollen. Der Vater aber wollte sie wegen der Bereitung der Schlangenbrühe nicht aus dem Bette lassen; denn hätte sie etwas gesehen, da hätte es wahrscheinlich mit der vollen Heilung wohl seine sehr geweisten Wege gehabt. So aber sah sie von allem nichts, und als ihr der Vater die Brühe zum Hinabtrinken überreichte, trank sie dieselbe mit einer sichtlichen Wohlbehaglichkeit bis auf den letzten Tropfen aus und gestand am Ende, daß diese brühartige Medizin äußerst gut geschmeckt habe.
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Der Vater ließ ihr die Brühe in ein paar Stunden nur noch einmal verabreichen, und die Witwe fing darauf an, sich so wohl zu befinden, daß sie kaum den vierten Tag noch im Bette zu halten war. Aber auf des Vaters strenges Geheiß mußte sie wenigstens noch den halben fünften Tag seit unserem Hiersein das Bett hüten, nach welcher Zeit sie dann das Bett ganz frisch und vollkommen gesund verließ. Sie beschenkte meinen Vater äußerst reichlich und vergaß auch mich nicht.
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Bei unserer Abreise fragte sie meinen Vater so im Vertrauen, ob er den griechischen Arzt gekannt habe, und ob dieser ihr von ihrem Übel auch wohl irgend hätte helfen können.
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Mein Vater aber sagte: ,Gar sehr wohl habe ich diesen gar elenden Quacksalber gekannt; der hat wohl nie jemandem geholfen - außer ins Grab!`
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Mit dieser Äußerung war die liebliche Witwe ganz zufrieden und entließ uns beide mit großem Wohlwollen. Der Vater packte nun gar sorgfältig verhüllt die in Lehm befindlichen übrigen Schlangen, band sie auf des Kamels Rücken, nebst anderen Dingen und Sachen von großem Werte; wir aber bestiegen auch unsere Dromedare und zogen uns also ganz wohlgemut in unsere Heimat zurück.
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Mit der mitgenommenen Medizin der sicher sonderbarsten Art hat mein Vater hernach noch eine Menge abzehrende Kranke geheilt und sich dadurch recht viel Geldes und einen berühmten Namen erworben. Freilich stand er darum nicht sehr in Gunsten der Templer und ebensowenig der Essäer; aber es achteten ihn die Römer desto mehr, ließen ihm allen Schutz angedeihen, erhoben seine Kunst und Wissenschaft bis zu den Sternen und gaben ihm den Ehrennamen Aesculapius iunior. Wenn dem Vater aber die Schlangen ausgegangen waren, so bestellte er sich gleich wieder eine bedeutende Sendung vom Horeb und heilte damit die Abzehrenden, von denen ihm aber im Ernste keiner gestorben ist."