Das Grosse Evangelium Johannes: Band 5
Lehren und Taten Jesu während Seiner drei Lehramts-Jahre
Jesus in der Gegend von Cäsarea Philippi
Ev. Matth. Kap. 16 (Fortsetzung)
- Kapitel 153 -
Die Naturphilosophie des Pharisäers
Sagt Cyrenius: ,,Aus allem dem, was du mir nun erzählt und erörtert hast, geht aber auch klar hervor, daß du als ein frommer Gottesdiener noch nie an einen Gott geglaubt hast; wie kann man aber ein sogar strenger Diener eines Wesens sein, das für euch gar nicht besteht?"
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Sagt der Pharisäer: ,,Nun, das erklärt sich auch ganz leicht aus dem früher angeführten äußerst triftigen und für alle Zeiten gültigen Grunde! Was vermag ein noch so gewecktes Kind gegen die Macht und physische Stärke seiner Eltern und oft überdummen Lehrer? Es muß sich fügen! Ich setze den Fall: Ihr Römer habt mit eurer unwiderstehlichen Macht uns unterjocht. Wer von uns konnte eurer Macht Widerstand leisten? Ihr hättet uns aber statt eurer sehr weisen und gerechten Gesetze zum Beispiel die dümmsten zur strengsten Beachtung auferlegt. Könnten wir Schwache etwas anderes tun, als sie ebenso genau beachten, wie wir diese nunmaligen weisen beachten? Die äußere Macht wirkt mit unwiderstehlicher Kraft, und man muß sich ihren Anordnungen fügen. Auf dieser Erde ist ja nur alles ein Schein und kein wahres Sein.
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Man sucht die Wahrheit, man sucht Gott. Wo und was aber ist da die Wahrheit, und wo und wer ist da Gott?! Jedes Volk erkennt und hat einen andern Gott und bestimmt danach die Sätze, die demselben Volke als eine heilige Wahrheit aufgetischt werden. Sind sie darum etwa auch für uns eine Wahrheit? Wir lachen darüber und können gar nicht begreifen, wie möglich ein Volk solch unlogisches, allerdümmstes Zeug zusammenglauben kann! Gehen wir aber zu jenem Volke und befragen es um das Urteil über unsern Glauben, so es vom selben etwas weiß, und es wird auch nicht begreifen, wie wir alles das Unsrige glauben und halten können! Etwas Gutes für die Aufrechterhaltung der allgemeinen Ordnung liegt überall darin, - aber darum noch lange keine Wahrheit und noch weniger eine wirklich irgendwo seiende Gottheit!
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Dort die Sonne ist eine Wahrheit und die wirkende Gottheit für sich und auch für uns, obwohl wir uns bloß nur mit ihrem Scheine begnügen müssen, darum es auch etwa hier auf dieser Erde durchaus mehr einen Schein als irgendein wahres Sein gibt. Oder bewirkt hier etwa nicht alles der Sonne Schein? Alles, was da ist, entsproß durch des Sonnenlichtes Schein und seine wunderbare Wärme, und solange es besteht, besteht und lebt es durch den Schein der wirklich allmächtigen Sonne; denn es wird von einer Seite her stets zur Hälfte beschienen, die andere Hälfte hat den Schatten.
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Am Firmamente prangt in großer Majestät also die wirkliche Lichtsonne als vollkommene Wahrheit. Die Erde und alles auf ihr ist ein Werk ihres Lichtes oder Scheines, also schon selbst mehr Schein als Sein. Hinter dem Scheinsein der ganzen Erde und aller Dinge befindet sich unvertilgbar der Schatten als eine komplette Lüge; und gerade der Schatten ist es, den alle Wanderer suchen und meistens lieben, und der Schlaf unter dem allgemeinen Schatten der Erde, den wir ,Nacht` zu nennen pflegen, ist und bleibt nach des Tages Arbeiten und Mühen die größte, stärkendste und angenehmste Erquickung des Lebens!
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Und darum scheint es mir auch, daß die Menschen unter der Herrschaft der möglich reinsten Wahrheit moralisch genommen ebensowenig bestehen könnten wie ihr leibliches Wesen ohne Schlaf. Was alsonach der Schlaf dem Leibe ist, das ist eine wohlkonditionierte Lüge dem ganzen moralischen Menschen Und da kommt es dann freilich nicht darauf an, was für eine Gestalt eine Lüge haben soll! Verschafft sie dem moralischen Menschen nur die gewisse befriedigende und sehr erquickliche Hoffnungsruhe und eine halbbeschienene und leicht annehmbare Zuversicht, so ist die Lüge gut, und die reinste Wahrheit kann zu ihr ums Brot betteln gehen.
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Solange Menschen auf der Erde wohnen, war es so; jetzt ist es auch so und wird auch so bleiben bis an ein mögliches Ende aller Zeiten. Die Menschen werden gleichfort die Wahrheit suchen, aber dabei aus der Schüssel der Lüge essen und leben. Stets wird es unter den gar vielen dummen Menschen auch Weise geben, die den Menschen ein Licht der Wahrheit vorhalten werden. Aber je heller sie die Menschen immer nur auf der einen Seite beleuchten werden, desto bestimmter und ausgeprägter wird sich hinter den von vorne hellst erleuchteten Menschen der Schatten als stete Folge des Lichtes ausnehmen lassen!
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Wie aber das Licht stets auch den Schatten bewirkt, ebenso bewirkt die reinste Wahrheit auch stets die vollkommenste Lüge. Denn ohne Wahrheit gäbe es ja auch keine Lüge und ohne Lüge nicht leichtlich eine Wahrheit. Jede Wahrheit aber birgt ja wenigstens die Fähigkeit in sich, eine Lüge zu erzeugen, so wie das Licht den Schatten. Was nun von beiden das Bessere ist für den Menschen, darüber richte ein jeder Mensch eine Frage an sich, aber treu und offen und sich nichts verhehlend! Ein gerechter Richter richtet den Lügner und Betrüger nach dem Gesetze und lebt von seinem Amte; wo aber ist derjenige, der mir für allgemein begreiflich machen kann, daß das Gesetz selbst eine Wahrheit ist? Es ist ein angenommener und sanktionierter Satz, hier so, an einem andern Orte anders! Wo ist da die Wahrheit, wo eine Lüge die andere straft? - Ich meine auch hier wieder: Sapienti pauca!"
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Mit dem hatte Cyrenius vorderhand genug, ließ die Pharisäer abtreten und sagte zu Mir: ,,Nein, hörest Du? - So etwas ist mir noch nie vorgekommen! Roklus hat auch zu reden verstanden in seiner rein vernünftigen Sphäre; aber ich bin ihm in meinem Innern stets Meister geblieben. Dieser Pharisäer aber hat mich nun so eingerahmt, daß ich ihm darauf gar nichts einzuwenden vermag! Ich habe mir die Pharisäer stets um sehr vieles dümmer vorgestellt; aber der hat es mir bewiesen, daß sie gar nicht dumm sind! - Was soll aber nun mit ihm unternommen werden?"