Das Grosse Evangelium Johannes: Band 8
Lehren und Taten Jesu während Seiner drei Lehramts-Jahre
Der Herr und Seine Widersacher
- Kapitel 63 -
Ein Schriftgelehrter versucht den Herrn
Es befand sich aber unter denen, die mit den etlichen siebzig Jüngern zu Mir nach Bethanien gekommen waren, auch ein Schriftgelehrter. Diesen verdrossen Meine Worte.
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Er trat darum zu Mir hin, in der Absicht, Mich zu versuchen, und sagte darum (): ,,Meister, ich habe deinen Worten entnommen, daß du in der Schrift wohlbewandert bist und ein rechtes Urteil aussprichst; sage denn nun auch mir, was ich tun soll, um gleich deinen Jüngern selig zu werden!"
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Sagte Ich: ,,Wie stehet es denn im Gesetze Gottes geschrieben, und wie liesest du, was geschrieben ist, als ein Schriftgelehrter?"
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Sagte der Schriftgelehrte: ,,Du sollst Gott, deinen Herrn, lieben aus ganzem Herzen, aus ganzer Seele, aus allen Kräften und aus dem ganzen Gemüte und deinen Nächsten wie dich selbst!"
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Sagte darauf Ich zum Schriftgelehrten: ,,Du hast völlig recht geantwortet. Tue das, so wirst du leben! Denn das Rechte wissen allein gibt und bringt niemandem das ewige Leben. Es ist das Wissen allerdings nötig, weil man ohne dieses als ein Blinder ohne Führer am Wege stünde; aber so der Blinde sehend geworden ist durch die Wissenschaft, aber dann auf dem Wege nicht fortwandeln will, so nützt ihm sein Licht wenig oder nichts. Wer da nicht weiß, was er tun soll und es sonach auch nicht tun kann, der hat auch keine Sünde, so er das Rechte nicht tut; wer aber das Rechte weiß und nicht tut, obgleich er weiß, daß es ein Rechtes ist, der hat die Sünde!"
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Hierauf sah Mich der Schriftgelehrte groß an und sagte, sich vor Mir gleichsam rechtfertigen wollend: ,,Meister, ich erkenne, daß du in der Wahrheit wohlerfahren bist, und weiß auch, daß es zum wahren, Gott wohlgefälligen Leben nicht genügt, die Gesetze nur allein zu kennen, sondern danach zu leben und zu handeln! Gott über alles lieben kann man sicher nur dadurch, daß man alle Seine Gebote genau befolgt; aber so man den Nächsten wie sich selbst lieben soll, da muß man zuvor ja doch wissen, wer denn so ganz eigentlich der Nächste ist, den man wie sich selbst lieben soll. Wen soll ich als meinen Nächsten ansehen?"
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Darauf sagte Ich: ,,Das ist wahrlich zum Staunen, daß du als ein Schriftgelehrter nicht weißt, wer dein Nächster ist. Ich will dir ein Geschichtlein erzählen, aus dem soll dir klar werden, wen du als einen Nächsten anzusehen hast.
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Es war ein Mensch, der ging von Jerusalem hinab gen Jericho in Geschäften, fiel auf dem Wege aber unter die Räuber. Diese zogen ihn bis auf die Haut aus, schlugen ihn darauf beinahe zu Tode, gingen mit ihrem Raube davon und ließen den Menschen halbtot liegen.
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Es begab sich aber zufällig, daß auch ein Priester aus Jerusalem dieselbe Straße hinabzog. Er sah den Menschen, den die Räuber übel zugerichtet hatten, am Wege liegen, ging aber ganz unbekümmert vorüber. Desgleichen kam bald nach dem Priester auch ein Levite und tat wie der Priester.
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Bald darauf kam auch ein Samariter an dieselbe Stelle, und als er den Menschen da liegen sah, da jammerte ihn des Halberschlagenen Not. Er ging zu ihm, verband ihm seine Wunden, goß Öl und Wein hinein, hob ihn auf sein Lasttier und brachte ihn also in eine Herberge und pflegte ihn den Tag und die Nacht hindurch selbst. Als er am nächsten Tage sah, daß es mit dem Verwundeten bei rechter Pflege wohl besser werde, so berief er den Wirt, gab ihm zwei Groschen und sagte zu ihm: ,Da ich dringende Geschäfte habe, so reise ich nun ab; du aber pflege seiner, bis ich in etlichen Tagen wiederkommen werde! Was du mehr brauchen solltest, das werde ich dir dann getreu ersetzen!` Dann reiste er ab, und als er nach einigen Tagen wiederkehrte, fand er den Menschen, über den er sich erbarmt hatte, gut gepflegt und soweit geheilt, daß er ihn nach Jerusalem zurückbringen konnte, bezahlte dem Wirte nochmals zwei Groschen und bekleidete den Geheilten noch obendarauf.
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Was meinst du nun? Welcher von den dreien war dem wohl der Nächste, der unter die Räuber und Mörder gefallen ist?"
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Da sagte der Schriftgelehrte: ,,Offenbar der, der ihm die Barmherzigkeit erwiesen hat!"
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Sagte Ich: ,,Gut, so gehe du hin und tue desgleichen! Ein jeder Mensch, der in irgend etwas deiner Hilfe bedarf, ist dein Nächster; und so du ihm hilfst, da bist auch du sein Nächster. Und so du ihm geholfen hast, da hast du ihn als deinen Nächsten auch geliebt wie dich selbst; denn die wahre Nächstenliebe besteht eben darin, daß ihr euren Nebenmenschen alles das tuet, was ihr vernünftigerweise wünschen könnet, daß sie im Notfalle auch euch tun möchten. - Weißt du nun, wer dein Nächster ist?"
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Hierauf getraute sich der Schriftgelehrte Mich um nichts Weiteres mehr zu fragen, zog sich zurück und sagte zu seinen Gefährten: ,,Wahrlich, in diesem Galiläer steckt ein mächtiger Wahrheitsgeist! Es lohnt sich der Mühe, ihn zu hören!"
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Darauf aber sagte einer von den Jüngern: ,,Noch mehr aber lohnt sich's der Mühe, also zu leben und zu handeln, wie Er lehrt; denn Er ist der Herr und hat alle Macht in Sich über Leben und Tod. Wer Seine Lehre tut, der wird von Ihm das Leben überkommen!"
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Sagte der Schriftgelehrte: ,,Wenn er der Messias der Juden ist, da hast du ganz recht; aber so er das ist und alle Macht und Gewalt im Himmel und auf Erden besitzt, so kann er ja das den Hohenpriestern sagen; und sträuben sie sich, das anzunehmen und zu glauben, so verwerfe er sie und züchtige sie mit Feuer aus den Himmeln, wie Gott dereinst Sodom und Gomorra gezüchtigt hat!"
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Sagte der Jünger: ,,Du redest nach der Weise der Menschen; wir aber reden nach der Weise Seines Geistes! Wir aber wissen es schon aus Ihm, was Er noch alles tun wird, und kennen Seine Macht, und wir sind Zeugen von allem, was Er in Jerusalem gewirkt hat und was gelehrt; und so können wir auch reden, und wir wissen es, woran wir sind, und was noch alles geschehen wird.
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Haben nicht alle Hohenpriester die Zeichen am Himmel gesehen, die ihnen klar andeuteten, was sie bei ihrer Verstocktheit zu gewärtigen haben? Aber es hat das auf sie keinen Eindruck gemacht, außer den des Hasses gegen Ihn, und sie trachten nun noch mehr und halten Rat über Rat, wie sie Ihn ergreifen und töten könnten! Aber Er wandelt dennoch frei im ganzen Judenlande und hat keine Furcht vor Seinen vielen und sich übermächtig dünkenden Feinden. Wäre Er nicht der Herr aller Macht und Gewalt im Himmel und auf Erden, so würde Er schon lange aus dem Lande geflohen sein. Aber da Er wohl weiß, welche Macht und Gewalt Ihm eigen ist, so flieht Er vor Seinen Feinden nicht, sondern geht ohne alle Scheu und Furcht in den Tempel und lehrt das Volk von der Ankunft des Reiches Gottes auf Erden und bedroht die Pharisäer und Juden mit aller Schärfe Seiner Rede. Wer anders als nur Er als der Herr aller Macht und Kraft würde sich das wohl zu tun getrauen? Das aber wird doch für jeden Vernünftigen mehr als ein genügender Beweis sein, daß nur Er und kein anderer mehr der wahre Messias und somit auch der Herr ist!
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Wir haben Seine Taten und Seine Wunderzeichen gesehen und haben vernommen die ewige Wahrheit Seiner Worte und glauben darum auch lebendig an Ihn; ihr habt dasselbe gesehen und gehört und glaubet doch nicht, daß Er der verheißene und nun in diese Welt zu uns gekommene Messias ist!
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Worin kann da wohl der Grund eures Unglaubens zu suchen sein? Sehet, in der großen Blindheit und Verstocktheit eurer Herzen liegt da der Grund! Ihr seid doch Schriftgelehrte und kennet es aus der Schrift, unter welchen Zeichen und Bedingungen der Messias in diese Welt kommen wird. Nun, alles das trifft nun bei Ihm auf ein Häkchen überein! Ist aber das unbestreitbar der Fall, wie möget ihr noch zweifeln und einen andern erwarten?
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Ja, ihr werdet in eurer Blindheit wohl einen andern erwarten; der aber wird nicht kommen bis ans Ende der Welt und ihrer Zeiten! Ihr habt uns also reden hören vor ein paar Tagen zu Bethlehem und auch an andern Orten, und wir erklärten euch die Schrift, obschon wir als einfache Menschen nie lesen und schreiben gelernt haben, und wirkten Zeichen vor euren Augen zum Wohle und Frommen der Menschen, daß ihr euch darob hoch erstauntet; ich aber frage nun euch, von wem haben denn wir solche wunderbaren Fähigkeiten, oder in welcher Schule haben wir solches alles wohl erlernen können?
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Oh, gäbe es eine solche Schule irgend in der Welt, so wüßtet ihr sicher um sie und hättet sie zu eurem Vorteile auch schon besucht! Aber es besteht keine solche Schule in der Welt außer allein nun unter diesem Herrn und Meister von Ewigkeit, der, zwar auch mit Fleisch und Blut angetan, als ein sichtbarer Mensch unter uns wandelt, aber in Seinem Geiste eben Derjenige ist, durch dessen Liebe, Weisheit, Wort und Willen alle Himmel, diese Erde und alles, was auf ihr ist, erschaffen worden sind.
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Wer es nun nicht von Ihm lernt, der überkommt es auch nicht, und würde er auch alle die hohen Weltweisheitsschulen besuchen. Und wer es nicht von Ihm erlernt hat, der kommt auch nicht zum ewigen Leben und nicht zu Ihm; denn es steht geschrieben: ,In jener Zeit werden alle, die da wollen, von Gott gelehrt; des Vaters Geist wird sie erziehen!` Und wer da nicht vom Vater wird gezogen sein, der wird nicht kommen zum Sohne, in welchem der Vater wohnt, den ihr nicht kennet und noch nie erkannt habt, und also auch nicht kennet den Sohn und wer Er ist, wie Er dir das Selbst gesagt hat.
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Wir aber kennen nun den Sohn und den Vater in Ihm, da Er uns das Selbst geoffenbart hat; und Er hat uns das geoffenbart, weil wir an Ihn alsogleich geglaubt haben. Er hat aber auch offen gesagt und gezeigt, wer Er ist. Aber ihr glaubtet nicht und glaubet noch nicht; darum werdet ihr aber auch verbleiben in eurer Sündennacht und sterben in ihrem Tode. Merket euch das! Denn wir als Seine nun wahrhaftigen Zeugen haben das schon in Bethlehem zu euch gesagt, als ihr uns bedrohtet, und hatten keine Furcht vor euch und sagen es euch nun abermals ohne alle Furcht und Scheu in Seiner Gegenwart, auf daß Er Selbst euch verdolmetschen kann, ob wir recht oder unrecht zu euch geredet haben.
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Ihr seid uns wohl hierher nachgezogen, als wolltet ihr die Wahrheit aus Seinem eigenen Munde vernehmen; aber eigentlich seid ihr mit uns nur darum hierher gewandert, um den Herrn der Herrlichkeit Gottes zu versuchen. Er aber hat es euch gezeigt, wie unsinnig es ist, als ein schwacher, sterblicher Mensch den Herrn des Lebens und des Todes zu versuchen. Und ihr seid darum denn auch verstummt und hattet nichts Weiteres mehr, um Ihn nochmals zu versuchen. Darum werdet ihr nun schier am besten tun, so ihr alsbald diese geheiligte Stätte verlasset und euch in eure alten Sündennester zurückziehet, auf daß euch nicht noch etwas Ärgeres begegne, als euch schon begegnet ist!"